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Jugendliche entscheiden sich für das Handwerk / Im Interview

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Nr. 192

12. September 2015

www.handwerk-special.de

Gute Ausbildungssituation

Mehr als 2.900 neue Lehrverträge sind Anfang September in

die Lehrlingsrolle der Handwerkskammer (HwK) Koblenz ein-

getragen. Damit setzt sich die positive Entwicklung des Vor-

jahres im Ausbildungsbereich fort. Erfahrungsgemäß werden

bis Jahresende weitere Lehrverträge bei der HwK Koblenz

registriert. Die Entwicklung wird durch die HwK-Spitze positiv

bewertet. „Das sind gute Nachrichten, jedoch ist das Hand-

werk weiter stark gefordert, um jeden Jugendlichen offensiv

zu werben. Es braucht junge Menschen, die eine handwerk-

liche Berufsausbildung erlernen können und wollen, um den

Fachkräftenachwuchs zu sichern. Die aktuellen Zahlen bestä-

tigen unsere Initiativen“, so Kurt Krautscheid und Alexander

Baden, Präsident und Hauptgeschäftsführer der HwK.

HwK: 2.900 neue Lehrverhältnisse / Flüchtlinge in Ausbildung

Nachgefragt

zu aktuellen Themen

Während das neue Ausbildungsjahr be-

ginnt und im Regionalhandwerk 2.833

Jugendliche eine Lehre aufgenommen

haben, bestimmt die Flüchtlingssituation

dieaktuelleNachrichtenlage.DasHandwerk

hatsichdabeideutlichpositioniertundheißt

diese Menschen willkommen, von denen

viele eine wichtige Rolle für die weitere

Entwicklung der „Wirtschaftsmacht von

nebenan“spielenkönnen.AlsLehrlingeoder

bereitsausgebildeteFachkräftekannsodem

immerstärkerwerdendenFachkräftemangel

effektivbegegnetwerden.WelcheInitiativen

das Handwerk und die Koblenzer Kammer

in diesem Sinne angestoßenen haben oder

bereitsumsetzen,erläutertKurtKrautscheid.

Herr Krautscheid, der aktuelle Flüchtlingsstrom auf Euro-

pa, auf Deutschland ist DAS Thema. Welchen Einfluss hat

das auf das Handwerk? Wie kann das Handwerk helfen?

WaswirimAugenblickerleben,istsicherlichvonhistorischerDimen-

sion. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat es dieses Ausmaß an Zustrom

nicht mehr gegeben. Was die damalige von der heutigen Situation

maßgeblich unterscheidet: Deutschland lag 1945 am Boden und hat

es trotzdem verstanden, diese Menschen aufzunehmen. Heute sind

wir ein wirtschaftlich starkes Land, das jetzt zeigen kann und wird,

dass es auch gesellschaftlich und menschlich stark ist. Insofern bin

ich mir sicher: Wir werden diese Situation meistern, auch wenn sich

gerade jetzt damit zahlreiche Herausforderungen verbinden, und ich

lasse es nicht unerwähnt: auch Probleme. Mit Wegschauen oder gar

Ausgrenzen werden wir keinen Schritt weiter kommen und ich freue

mich sehr, dass meine Handwerkskollegen deutlich sagen: „Ihr seid

uns willkommen und wir möchten mit Euch zusammen arbeiten und

sehen Euch als Teil unserer Gesellschaft.“ Für die Bäcker kann ich

sagen: Wir werden das Brot mit Euch teilen. Und als Dachdecker

sage ich:Wir bieten Euch einDach über demKopf. Damit verbinden

wir nicht nur Worte, sondern auch Taten. Erste Lehrverträge mit

Flüchtlingensindbereitsunterzeichnetundauchwenndiepolitischen

Rahmenbedingungensicherlichnachjustiertwerdenmüssen–gerade

beimBleiberecht–zögertdasHandwerknicht,seinenBeitragfüreine

erfolgreicheZukunftdieserFlüchtlingezuleisten.Nurwennwirdiese

Menschen in die Lage versetzen, auf eigenen Füßen zu stehen, eine

Arbeit zu finden, was nicht nur finanzielle Unabhängigkeit sondern

auchgesellschaftlicheIntegrationbedeutet,werdenwirdieseSituation

erfolgreichmeistern, ja sogar einenVorteil für alledaraus entwickeln.

Die Handwerkskammer verfügt bereits über umfangreiche

Erfahrungen beim Thema Migration. Wie werden diese jetzt

effektiv eingesetzt?

Ich nenne beispielhaft das Projekt „Handwerk integriert Migranten“,

das wir 2007 zusammen mit der Landesregierung Rheinland-Pfalz

und demEuropäischen Sozialfonds der EUgestartet haben. DieAus-

gangslagedamals:Knapp17ProzentderEinwohnervonKoblenzsind

Migranten.41ProzentdavonimAlterzwischen25und35Jahrenhatten

keinenBerufsabschluss.DaszuändernwarAnsatzdesProjektes.Las-

senSiesichdieseZahlenmalbewusstdurchdenKopfgehen!Auchdas

wareineechteHerausforderung!InsofernhabenunsereHwK-Experten

Erfahrungen, dieuns nunnatürlichzugutekommen.Das schließt eine

komplexe Betreuung der Flüchtlinge ein, die ja nun bei uns quasi ein

neues Leben beginnen und sich in ganz neuen Dingen zurecht finden

müssen. Das reicht von der Bearbeitung von Formalitäten in fremder

Sprache, die Sprachschulung selbst über dieWohnungssuche bis zur

Anerkennung von bereits erzielten Berufsabschlüssen. Hier haben

wir umfangreiches Know-how und setzen das nun ein, auch wenn

die Zahl der von uns betreuten Menschen natürlich in ganz anderen

Dimensionen liegt. Zusammen mit den Betrieben werden wir das

packen, denn auch das haben unsere Projekte in der Vergangenheit

bewiesen und ich erinnere nur an das Ausbildungsprojekt mit jungen

Spaniern vor zwei Jahren: Die Handwerksunternehmen ziehen mit!

Was nutzt die beste Idee und der tollste Plan, wenn die Wirklichkeit

sich einer Umsetzung verschließt?! Insofern bin ich mir sicher: Das

Handwerkwird einen bedeutenden positiven Beitrag in der aktuellen

Flüchtlingssituation leisten!

Foto: P!ELmedia

HwK-Präsident

Kurt Krautscheid

LautBerufsbildungsbericht2015

wurden im Ausbildungsjahr

2013/14 bundesweit 522.200

Ausbildungsverträge neu ab-

geschlossen. Dies entspricht

einemRückgang um1,4Prozent

gegenüber dem Vorjahres-

zeitraum. Im Vergleich zum

Berufsbildungsbericht 2014

hat sich der Rückgang leicht

verringert. Damals betrug er

minus 3,7 Prozent. Die Zahl der

gemeldeten,unbesetztenbetrieb-

lichenAusbildungsstellen stellte

mit rund 37.100 (plus 10 Pro-

zent) im langjährigen Vergleich

einen neuen Höhepunkt dar.

Dem gegenüber wurden 20.900

unversorgteBewerberinnen und

Bewerber gezählt.

Für das Handwerk ergibt sich

vor diesemHintergrund die Pro-

blematik, dass aufgrund des de-

mografischen Wandels weniger

Schulabgängerihrerseitsverstär-

kt eine akademische Laufbahn

anstreben. Eine Entwicklung,

die nicht neu ist. Insofern war

das Lehrstellenplus 2014 des

Handwerks inderRegionMittel-

rhein bereits einAchtungserfolg

und lag gegen den bundesweiten

Trend. 2014 wurden im Bezirk

der HwK Koblenz zum Jahres-

ende 3.195 Lehrverträge neu in

die Lehrlingsrolle eingetragen.

Daswaren48mehr als 2013,was

einem Zugang von 1,53 Prozent

entsprach.

Syrischer Tischler, afgha-

nischer Elektrotechniker

Um der Fachkräfteproblematik

effektiv entgegenzuwirken, gibt

es eineReihe von Initiativen und

Programmen des Handwerks.

„So erschließt sich mit den in

Deutschland ankommenden

Flüchtlingen eine Quelle mög-

licher Nachwuchskräfte, die

wir nutzen wollen, ja müssen“,

betont die Kammerspitze.

Issa Akhatib gehört zu den

Flüchtlingen, die fernabderHei-

mat neue Perspektiven suchen.

Der junge Mann kommt aus

Hasaka imNordostenvonSyrien

und lebt seit über einem Jahr in

Koblenz. Er möchte Tischler

werden. Am1. August begann er

eine Lehre in der Tischlerei von

AndréLiesenfeld inHalsenbach.

Für seine Lehrstelle nimmt der

21-Jährige die täglich zweistün-

dige Fahrtzeit mit dem Bus gern

inKauf.„IchhabevieleZiele,der

Führerschein gehört dazu“, sagt

er. In Syrien hat Issa nach dem

Abitur ein technisches Institut

besucht und sich zum Landver-

messer fortgebildet.

Über dieUmstände seiner Flucht

spricht er ungern. Er berichtet

von Militäraktionen und Kämp-

fenderKurden in seinerHeimat-

Fortsetzung auf Seite 4

Die Zahl der Betriebe, die hän-

deringend Nachwuchs suchen,

steigt seit Jahren dramatisch an.

„Aktuell sind es 280 Ausbil-

dungsplätze im Kammerbezirk,

die für 2015offen sind. Sogar für

2016 gibt es schon heute fast 400

Einträge in der Lehrstellenbörse

der HwK!“, macht die Kammer-

spitze deutlich.

Mohammed Heidari Zaris ist aus Afghanistan nach

Deutschland geflüchtet. Jetzt hält er stolz zusammen

mit Jochen Anspach vom gleichnamigen Ausbil-

dungsbetrieb den Lehrvertrag in Händen.

Issa Akhatib stammt aus dem Nordosten von Syrien

und wird jetzt in der Tischlerei von André Liesenfeld

in Halsenbach zum Tischler ausgebildet.