Handwerk Special Nr. 120 vom 9. Februar 2008 - page 22

Engagiert für ein Miteinander von Deutschen und Migranten
Nr. 120
9. Februar 2008
Integration mit Gefühl
Nicht jede Türkin trägt Kopftuch, ist zwangsverheiratet
und geht fünf Meter hinter ihrem Mann. Die Zahnärztin
Dr. Ezhar Cezairli, Vorsitzende des Deutsch-Türkischen
Clubs in Frankfurt, kämpft gegen pauschale Vorurteile.
Vorsitzende des Deutsch-Türkischen Clubs plädiert für Respekt
Hintergrund
Muslime in Deutschland
In Deutschland leben mehr als drei Millionen Menschen musli­
mischerHerkunft.Die Initiative säkularer und laizistischer (weltlich,
Kirchen unabhängig) Bürger tritt dafür ein, dass die muslimischen
Kinder die Möglichkeit bekommen, an öffentlichen Schulen über
ihre Religion informiert zu werden. Die Islamkonferenz wurde von
Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble ins Leben gerufen,
um den Dialog zwischen Muslimen und staatlichen Vertretern
voranzubringen und zu vertiefen.
Cezairli. „Integrationheißt nicht
Assimilation. Integration heißt,
sich einzubringen, auch sich in
gewisserWeiseändern,zumTeil
auch anpassen können.“
Bilderbuchkarriere trotz
schwierigem Anfang
Geboren in Antakya im süd­
östlichen Mittelmeergebiet,
zog Ezhar Cezairli 1972 als
Zehnjährige mit ihrer jüngeren
Schwester nach Weil am Rhein.
Ihr Vater, ein Konditor, hatte
sich in Deutschland um einen
Arbeitsplatz beworben und war
bereits zwei Jahre früher mit
den beiden jüngeren Brüdern
als Gastarbeiter in Deutschland.
Später hat er sich zum Schlos­
ser und Schweißer umschulen
lassen. Die junge Ezhar musste
noch einmal in die dritte Klasse.
In der vierten beherrschte sie
soviel Deutsch, dass sie überall
mitmachen konnte und Noten
erhielt. Es folgten Realschule,
der Wechsel aufs Gymnasium,
als erste und damals einzige tür­
kischeSchülerin.IhrAbiturlegte
siemit einemNotendurchschnitt
von 1,8 ab, studierte Zahnmedi­
zin in Hannover, Approbation,
Promotion. Dazwischen hat sie
geheiratet, einen Türken, den
sie in den Ferien in der Türkei
kennen lernte und der zu ihr
nach Deutschland zog. Mancher
Deutsche wünschte sich diese
Bilderbuchkarriere der Ezhar
Cezairli. DieZahnärztin istMut­
ter zweier Kinder und hat in der
Frankfurter Innenstadt ihre Pra­
xis. Sie behandelt viele türkisch­
stämmige, aber auch deutsche
und spanischePatienten. „Meine
Klientel ist international“, sagt
sie. Auchwegen ihrer Sprachen.
Sie spricht fünf.
Der „eigene Wille“ hat bei ihrer
Entwicklung eine große Rolle
gespielt, auch ihre Einstellung,
das Fremde nicht als bedrohlich,
sondern als Chance zu sehen.
„Meine Eltern haben uns Kinder
gefördert und vermittelt, wie
wichtig Bildung ist. Auch, dass
das Beherrschen der deutschen
Sprache klareVoraussetzung für
die Integration ist“, betont sie.
Willkommen in
Deutschland
„Ich habe in Deutschland
gelernt, Konflikte in ge­
meinsamer Diskussion
durch Argumentation
zu lösen. Kulturen sind
keinstarresGebilde.Sie
beeinflussen sich, ent­
wickeln sich, bereichern
sich. Gegenseitiger Dia­
log, Respekt und Gleich­
berechtigung als Mensch
mit durch die Herkunft
geprägter Identität sind
unverzichtbar“, sagt sie.
Sie verweist auf die Bedeu­
tung der Zusammenarbeit
zwischenElternundSchule.
Siewünschtsich„Lehrpläne,
diemehrWissenüber fremde
Kulturen vermitteln“. „Je
mehr Zugewanderte sich als
Willkommene fühlen, um
so mehr werden
sie sich aktiv
für ei­
Dr. Ezhar Cezairli wehrt sich gegen ein klischee-
haftes Bild von Türken, das sich in den Köpfen von
vielen Deutschen eingenistet habe.
ne bessere Integration von
Migranten einsetzen“, ist Dr.
Cezairli überzeugt. Die In­
itiative der Handwerks­
kammer Koblenz
„Handwerk in­
tegriert
Migranten“ sieht sie als einen
„wichtigen Baustein im Mitein­
ander mit Vorbildcharakter“.
„Ich bin davon überzeugt, dass
damit Betriebe für die Probleme
ausländischer Jugendlichr sensi­
bilisiert undTürengeöffnetwer­
den. Integration gelingt durch
Gleichberechtigung, Chancen­
gleichheit und Eingliederung
von Individuen in alle Teil­
systeme der Gesellschaft.
Auch wenn wir aus
unterschiedlichen Kul­
turen kommen, müssen
wir uns im In­
teresse eines
friedlichen
Zusammen­
lebens auf
gemeinsame
Werte eini­
gen“, weiß
Cezairli.
Die starke
F r a u h a t
d i e Wo r t e
eines der be­
kanntesten tür­
kischen Schrift­
stellers - Nazim Hik­
met - verinnerlicht und
zu ihrer Lebensmaxime
gemacht. „Leben wie ein
Baum, einzeln und frei,
und brüder­
lich wie ein
Wald!“
Als Zahnärztin ist Dr. Ezhar Cezairli um die Gesundheit ihrer Pati-
enten bemüht, im Verein um die Integration von Zuwanderern.
In Lehrwerkstätten der HwK wie in Cochem ler-
nen auch viele muslimische Frauen einen Beruf.
Ezhar Cezairli sieht sich als
eine Europäerin türkischer
Abstammung. Sie fühlt sich in
Deutschland „völlig integriert“,
ohne ihre Identität aufgegeben
zu haben. Und sie ist permanent
inSachen Integrationunterwegs.
So auch als Referentin bei den
31. Lehrer-Info-Tagen bei der
Handwerkskammer Koblenz
zum Thema „Integration und
Förderung von Migranten in
Schule und Ausbildung in
Rheinland-Pfalz“. Am Rande
fand Dr. Cezairli, Teilnehmerin
der deutschen Islamkonferenz
und Mitglied einer Initiative sä­
kularer und laizistischer Bürger
(Erklärungen siehe Kasten oben
rechts) aus islamisch geprägten
Ländern, Zeit für ein persön­
liches Gespräch.
„Integration hat viel mit Gefühl
zu tun. Man kann sie nicht
erzwingen. Auf der einen Seite
müssendieRahmenbedingungen
geschaffen werden. Auf der
anderen Seite muss die Inte­
grationsbereitschaft der Zuge­
wanderten stärker wachsen“, so
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