Handwerk im Herbst vom 9. September 2000 - page 8

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Wechsel kurz vor dem 150sten in der traditionsreichen Neuwieder Glaserei Jechel
1852 war es, da gründete Glasermeister Jo-
hann Jechel in Neuwied die Firma Glas-Jechel.
Ein günstiger Zeitpunkt, begann doch gerade
in jenen Jahrzehnten eine der großen Entwick-
lungsphasen der Stadt, wurden neue Häuser
errichtet, vor allem in dem Stadtviertel, das auf
den neuen Bahnhof zuwuchs. Vier Generatio-
nen lang blieb der Betrieb Familiensache und
wurde sicherlich auch deshalb zu einer festen
Größe in Sachen Glas in der Deichstadt. Wer
Glas sagte, meinte Jechel und umgekehrt.
Vier Generationen Familiensache
Zunächst waren es immer die Söhne, die den
Betrieb nach dem Tod des Vaters, in dessen
Werkstatt sie das Handwerk lernten, übernah-
men, Jean und später Karl Jechel, der 1959
starb. Ab da führte die erste und einzige Frau
das Familienunternehmen, Karls Tochter Inge,
die 1948, gleich nach dem ZweitenWeltkrieg,
der auch den elterlichen Betrieb arg in Mitlei-
denschaft zog, ihre Lehre als Glaserin aufge-
nommen hatte. In Zeiten des Wiederauf-
baus1960 legte sie ihre Meisterprüfung ab und
führte zusammen mit ihrem Mann, Hans
Heuchemer, Glas-Jechel bis an dieWende zum
21. Jahrhundert. Nachfolger hätte Sohn Hans-
jürgen werden sollen, der leider bereits 1987
In 150 Jahren
Unternehmens-
geschichte hat
die Neuwieder
Traditions-
glaserei einiges
miterlebt, u.a.
zwei Weltkriege.
Das Foto ent-
stand nach
Kriegsende 1945.
100jähriges Jubilä-
um in der Nach-
kriegszeit: 1952
„feierte“ die Glase-
rei ihren runden
Geburtstag. Der
Bedarf nach Glas-
scheiben durch
Kriegsschäden war
groß, die Briefta-
sche für Reparatu-
ren eher klein.
starb. Nach insgesamt 52 Jahren im Betrieb
suchten die Heuchemers deshalb einen Gla-
ser, der den Betrieb übernehmen wollte – und
fanden ihn in Manfred Schmidt.
Regionales Standbein
Ein Nachbar fast, auch er aus einer Glaser-
familie stammt. 1974 gründete er eine eigene
Firma in Irlich, Glasbau Schmidt, die 1995 in
das Unternehmen MEGLA überging. Glasbau
im großen Stil, Projekte, bei denen es gleich
um Tausende von Quadratmetern Glas geht,
wie bei den U-Bahn-Überdachungen auf dem
Potsdamer Platz, den
Bus-Gates amDüssel-
dorfer Flughafen oder
auch den Raubtier-
käfigen im Frankfur-
ter Zoo. Schmidt ist
MEGLA gleichzeitig
verantwortlicher Mei-
ster und Manager, der
nur selten an seinem
Schreibtisch in Irlich
anzutreffen ist. „Uns
kam es einfach gele-
gen, einen so alten, re-
nommierten und ein-
Karl-Heinz
Schirra, langjäh-
riger Mitarbeiter
der Firma Jechel
(rechts) und der
neue Mann am
„Ruder“, Martin
Schmidt, Inha-
ber des Neu-
wieder Glasbau-
unternehmens
Schmidt.
geführten Betrieb wie die Firma Glas-Jechel
zu übernehmen“, begründet Schmidt, Jahr-
gang 1940, die Übernahme. „Wir such-
ten nämlich ein regionales Standbein,
eines, das sich eben mit ganz „norma-
len“ Glaserarbeiten, also z. B. mit Re-
paraturen, nach denen
die
Kunden auch bei
uns immer wieder
nachfragten, be-
schäftigt.“
Ein Stand-
bein fürAuf-
träge, die
zwar nicht
unbedingt
riesig, dafür
aber sehr spezifisch und arbeitsaufwendig sind,
„gleichgültig, ob jemand mit einer Schranktür
kommt oder Gestaltungswünsche hat“.
Traditionelle Glaserei gewissermaßen.
Trotzdem will Schmidt auch den Neu-
wieder Betrieb in den nächsten Mona-
ten modernisieren. Neue Schleifma-
schinen sollen aufgestellt werden,
um den Kunden wirklich be-
ste Arbeit und besten Ser-
vice bieten zu können.
„Scherben bringen Glück!“ Dieses Motto als
Trost immer dann benutzt, wenn was Liebge-
wonnenes zu Bruch geht. Dem 28-jährigen
Ingo Caspary bringt zerbrochenes Glas indi-
rekt Glück, denn jede zerbrochene Scheibe
bringt Aufträge - Caspary ist Glasermeister
und arbeitet mit Gläsern, Spiegeln, Türen aus
Glas, Fenstern, großen Scheiben, dünnen
Scheiben, schweren Gläsern und leichten...
Spezialanfertigungen gehören u.a. zu seinem
Fachgebiet, wie man sie zur Zeit im kurfürst-
lichen Schloss zu Koblenz sehen kann: Eine
Schreibe zum Drüberlaufen! Das seltene, 100
kg schwere Glasexemplar ist eingebaut in die
Technologieschau derAusstellung „Miteinan-
der: Leben, Wohnen, Arbeiten“ vor dem Kai-
sersaal. Unter ihr verbirgt sich das Logo der
Ausstellung, auf das sich der Besucher drauf-
stellen kann. Das fluchtartige Hinuntersteigen,
aus Angst es könnte zerbrechen, ist zwar
durchaus menschlich, jedoch für denn Fach-
mann nicht nachvollziehbar! Das Panzerglas
wird durch eine spezielle Drucktechnik so sta-
bil, das es auch mehrere Leute tragen könnte.
Hierbei werden mehrere Glasscheiben über-
einandergelegt und unter hohem Druck und
Temperatur verklebt.
Eine
Scheibe
zum
Drüber-
laufen - in
der Aus-
stellung
„Miteinan-
der: Le-
ben, Woh-
nen, Ar-
beiten“.
1,2,3,4,5,6,7 9,10,11,12
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