Handwerk Special Nr. 180 vom 14. Juni 2014 - page 22

Handwerk ist weiblich: Frauen verbinden ihr Hobby mit dem Beruf
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Nr. 180
14. Juni 2014
Dorothee Köhle meißelt Kreativität filigran in Stein
Steinmetzen und Steinbildhauer brau-
chen nicht immer breite Schultern. Junge
Frauen sieht man zwar eher selten in die-
sem Beruf, aber es gibt sie doch.
Dorothee Köhle ist im Betrieb
von Steinmetz- und Steinbild-
hauermeister Karl-Heinz May
in Odernheim beschäftigt. Die
27-jährige arbeitet dort gerade
mit Meißel und Hammer an
einem Sandsteinsockel für ein
Tier-Grabmal.Dieelegante,le-
bensecht gestaltete, schlafende
Katze, die darauf Platz nehmen
soll, hat sie bereits fertig. „Ich
habeschoninderSchulzeitgern
handwerklich mit Holz und
Stein gearbeitet“, beschreibt
sie ihren Berufswunsch nach
dem zehnten Schuljahr. Die
A u s b i l -
dung zur
Steinmet-
zin hat sie
mit einem
gestalte-
r i s c h e n
S c hwe r -
punkt ge-
macht. Sie
haut gerne
R e l i e f s ,
und wenn
„Steinmetz-Betriebe tun sich
schwer, Mädchen als Lehr-
linge einzustellen“, weiß auch
Meister May. Der sammelt
allerdings nicht nur mit seiner
jetzigen Mitarbeiterin gute Er-
fahrungen. „Ihre Vorgängerin
hat sogar die Meisterausbil-
dung gemacht!“
Gerade bei der Sanierung
alter Herrschaftshäuser oder
Kirchen seien die filigranen
Gestaltungsarbeiten an figür­
lichen Details und Stein-
ornamenten anspruchsvolle
Aufträge. Für die schwere
handwerkliche Arbeit draußen
auf der Baustelle gibt’s Hebel,
Winden und Maschinen. Für
die filigrane Handarbeit von
Dorothee Köhle nicht.
Ein Sattel für Don Giovanni
Ein Pony hatte es der
begeisterten Freizeitrei-
terin Maren Wasem aus
Waldbreitbach und ihrer
Mutter sofort angetan.
„Wir waren verzaubert
und haben das Pferd
nach der Mozart-Oper
‚Don Giovanni‘, der die
Frauen betört, getauft“,
lacht die 18-Jährige. Sie
erzählt, dass spätestens
da der Wunsch entstand,
das Pferd einmal selbst
mit Sattel und Halfter
„einzukleiden“.
Ein Praktikum bei Sattlermeis­
ter Guido Netzer aus Oberlahr
im Westerwald bestärkte die
Realschülerin in ihrem Berufs-
wunsch, Reitsportsattlerin zu
werden. „Ich verlasse meinen
Ausbildungsplatz immer strah-
lend“, so Maren, die inzwischen
im zweiten Lehrjahr ist. Den
Sattel für Don Giovanni hat sie
bereits angefertigt. „Eine solide
Leistung“, bestätigt Netzer. „Ich
bin stolz wie Oskar, dass
mein
Pferd jetzt auch von
mir
gefer-
tigtes Sattelzeug trägt“, freut sie
sich. Schon jetzt weiß Maren,
dass sie einmal denMeisterbrief
imHandwerk erwerbenmöchte.
So konkret sind die Vorstel-
lungen von Abiturientin Aileen
Ross aus Montabaur noch nicht.
Siewird imAugustmit derLehre
bei Meister Netzer beginnen.
Schon vorab orientiert sie sich in
der Werkstatt und ist überzeugt,
dierichtigeBerufswahlgetroffen
zu haben. Wie Maren reitet die
19-Jährige und hat ein eigenes
Maren Wasem aus Waldbreitbach möchte Reitsportsattlerin werden
Sattlerei Guido Netzer, Oberlahr
Gegr. 2002 | 3 Mitarbeiter | Sättel für Profireiter und Reitsportfreunde,
Beschläge, Taschen | Tel. 02685/ 98 65 74 |
Gemeinsamsattelfest (v.l.): LehrlingMarenWasem,Meister
Guido Netzer und Noch-Praktikantin Aileen Ross.
Maren Wasem erlernt das Sattlerhandwerk und ver-
fügt bereits über grundlegende Fertigkeiten.
Pferd. „Selbst zu reiten ist
von Vorteil, aber keine Vo-
raussetzung für denBeruf“,
betont Guido Netzer.
Erfolgreich
„umgesattelt“
Netzer hatte bereits den
Meisterbrief im Kfz-Hand-
werk erworben, bevor er
im Sinne des Wortes noch
einmal „umsattelte“. „Mei-
ne Frau brachte drei Pferde
mit, und ich habe mich
in meiner Freizeit oft mit
Lederarbeiten beschäftigt.
So kam eins zum anderen.
Ich entschloss mich, das
Handwerkzuwechseln“,er-
zählt er. SeineLeidenschaft
für den Reitsport kam ihm
dabei zugute. Er sammelte
Erfahrungen bei einem
bekannten Sattler und legte
1998dieMeisterprüfungab.
2002 erfolgte der Schritt in
die Selbstständigkeit.
Privatkunden und Händler
aus Deutschland und dem
benachbarten Ausland ge-
hören zu seinen Kunden.
„Beim Sattel kommt es auf
die perfekte Passform für Pferd
und Reiter an, egal ob Western-
sattel oder Englischsattel. Die
elektronische Ausmessung, bei
der das Pferd gescannt wird,
ermöglicht es, eine exakte
Messlehre anzufertigen. Der
Kundewählt dannModell, Farbe
und Leder. Ich verwende über-
wiegend pflanzlich gegerbtes
Rindsleder ausDeutschland“, so
Netzer. Bis zu 70 Sättel fertigt er
im Jahr. Hinzu kommen Zaum-
zeug, Taschen und Beschläge.
Dank von
Ross und Reiter
„Alles wird in reiner Handar-
beit mit viel Liebe zum Detail
erstellt. Der Sattel schmückt das
Pferd und sagt einiges über den
Reiter aus“, betont der Hand-
werksmeister. Seine Werte gibt
er an die Lehrlinge weiter. „Ich
fordereviel,aberRossundReiter
werden die perfekte Dienstleis­
tung danken.“ Zukünftig plant
er Sattelworkshops für Reiter
anzubieten. „Das ist keine Ver-
kaufsshow,sonderneinegezielte
Wissensvermittlung, den Sattel
in Bezug auf die Passform zu
beurteilen.“
klärt sie den großenUnterschied
zur Massen-Gussware aus dem
Gartencenter.
sie Figuren gestaltet, wie die
schlafende Katze auf demGrab-
mal, dann fertigt sie erst einmal
ein kleines Modell aus Ton an.
„Das wird dann maßstabsgetreu
perHand inSteingearbeitet“, er-
Erst ein verkleinertes Tonmodell, dann die
Ausarbeitung in Originalgröße in echter
handarbeit: Gesellin Dorothee Köhle geht
mit Freude ihrem Beruf bei Steinmetz- und
Steinbildhauermeister Karl-Heinz May nach.
Fotos: Marianne Reuter-Benz
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