Handwerk Special Nr. 164 vom 31. Oktober 2012 - page 11

Wir stehen vor einer Zeiten­
wende. Das Klima unseres
Planeten ist bedroht. Das
Jahrhundert des Öls geht zu
Ende, die Energieversorgung
der Welt muss auf eine neue
Grundlage
gestellt
werden.
2050 wer­
den fast
so viele
Menschen
in Städten leben wie
heute auf der ganzen
Erde – und es wird
erstmals mehr Senioren
geben als Kinder und
Jugendliche.
Nie zuvor wurde daher
von Forschern, Er­
findern und Ingenieu­
ren mehr Kreativität
verlangt: Computer als Assistenzärzte,
Roboter im Haushalt, Sinnesorgane für
Elektroautos, Gebäude als Energiehänd­
ler, Bauernhöfe im Wolkenkratzer, Licht­
himmel an der Decke, Kraftwerke in der
Wüste und auf hoher See, Großrechner
im Volumen einer Erbse, virtuelle Uni­
versitäten und Fabriken im Internet – all
dies ist keine Vision, sondern fast schon
greifbare Realität in den Labors rund um
den Globus.
Der Wissenschaftsautor und Leiter der
weltweiten Siemens Innovationskommu­
nikation Dr. Ulrich Eberl beschäftigt sich
mit dem Blick in die Welt, wie wir sie
vielleicht im Jahr 2050 erleben. In seinem
Vortrag dreht sich alles um die techno­
logischen Trends, die unser Leben von
morgen prägen werden. „Das wird Eure
Welt sein, die Ihr miterfinden könnt“,
lautet sein Apell ans junge Publikum, das
ihn bei der Koblenzer Nacht der Technik
am 3. November live erleben kann.
Informationen und das vollständige Pro-
gramm zur Nacht der Technik, Tel.: 0261/ 398-
512, Fax: -988, E-Mail:
Internet:
Handwerk prägt das Gesicht von Städten und Dörfern
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Nr. 164
31. Oktober 2012
Seit 1715 ist der Chef ein Claus
„Das 300. Jubiläum von
Café Claus möchte ich
unbedingt noch feiern.
Das treibt mich an“, so
Konditorenmeister Rolf
Claus aus Kastellaun. Der
65-Jährige führt einen der
ältesten Handwerksbe-
triebe in der Region in der
8. Generation.
Der begeisterte Heimatforscher
hat dieGeschichte derHandwer­
ker in Kastellaun recherchiert
undaufgeschrieben.Sieliestsich
wie ein spannenderRoman.Was
die Historie der Bäckerfamilie
Claus betrifft, wurde er in einer
alten Familienbibel fündig. Da­
rinhatteseinGroßvaterHermann
Claus seine Lebensgeschichte
notiert.
Blick in die
Familienbibel
Johann Nicolaus und Johann
Peter Claus sind in den Markt­
protokollen des Frucht- und
Getreidemarktes in „Castel­
laun“ als ständige Ankäufer
von Weiß- und Roggenmehl
eingetragen. Nicolaus erscheint
in den von Oberamtmann von
Lüder geführten Zunftprotokol­
len um 1780 als Zunftmeister
der „Beckerzunft inCastellaun“.
Mit dem Pferdegespann wurden
Brot, Brötchen, Kuchen und
Torten in die Umgebung ausge­
Das Café Claus in Kastellaun ist bereits seit 297 Jahren in Familienbesitz
Steckbrief: Café Claus, Kastellaun
Gegr. 1715 | 9 Mitarbeiter | Pralinenherstellung, Café mit 60 Plät­
zen, 30 im Garten-Café | Tel.: 06762/ 7416
Spannende Reise ins Jahr 2050
fahren. Eingut erhaltenesTages­
kassen- undBestellbuchaus dem
Jahre 1907 gibt Aufschluss über
Kunden,Waren und Preise. Jede
Menge Weißbrot wurde an itali­
enische Arbeiter geliefert, die in
Hasselbach ein Quartier hatten
und zumBau der Eisenbahnlinie
eingesetzt waren.
Ein schwerer Brand zerstörte
1921 den Betrieb völlig. Re­
signieren war dem damaligen
Unternehmenschef fremd. „Mit
GottundFleißbauteichwie­
der ein Haus, Scheuer, Stall und
Backstube“, so seine Notiz aus
dieser Zeit. Die fortschreitende
Geldentwertung erschwerte den
Bau. „Ich rateEuch,Kinder, geht
abends vor dem Schlafengehen
nachsehen, ob alles in Ordnung
ist und kein Feuer entstehen
kann“,gaberseinenNachfolgern
schriftlich mit auf den Weg.
Ironie des Schicksals? ImJanuar
2009 wurden der heutige Inha­
ber Rolf
Claus und
Über handschrift-
liche Notizen
in einer alten
Familienbibel
kam Rolf Claus
der Geschichte
seiner Handwer-
kerfamilie auf
die Spur.
Mit seinen Lehrlingen freut sich
Konditorenmeister Rolf Claus über den
„Staffelstab für die Ausbildung“.
Staffelstab für
die Ausbildung
In diesen Tagen wurde dem
Traditionsbetrieb eine beson­
dere Ehre zuteil. Er bekam den
Staffelstab „Teilhabe sichern
– UN Konvention umsetzen“
der Kreisverwaltung Rhein-
Hunsrück-Kreis.Der Staffelstab
bescheinigt ein besonderes En­
gagement bei der Inklusion von
Menschen mit Behinderungen.
RolfClausundEhefrauRoswitha
kümmern sich um Jugendliche,
die Schwierigkeiten beim Start
insBerufsleben haben. ObLern-
oder soziale Probleme, fehlende
Sprachkenntnisse und andere
Beeinträchtigungen, im Café
Claus gibt es Unterstützung in
allen Lebenslagen. Auch eine
Schwangerschaft während der
Lehre ist hier kein Grund, den
Abschluss nicht zu schaffen. In
den letzten 15 Jahren hat Claus
17Lehrlinge zuKonditorenoder
Fachverkäuferinnenausgebildet.
Zusätzlich bietet er regelmäßig
Praktika zur beruflichen Orien­
tierung an. „Wir haben selbst
leider keine Kinder und unter­
stützen jungeMenschenmit viel
Herzblut“, freut er sich über die
Anerkennung.
Hier bietet sich die Frage nach
der Nachfolge an. Ein 9. Claus
wirddasTraditionsunternehmen
nicht übernehmen. „Eswird aber
weitergehen“, verspricht Rolf,
der 8. Claus.
seine Frau von Explosionslärm
geweckt. Meterhohe Flammen
schlugen aus der Backstube.
Personen wurden nicht verletzt.
Der materielle Schaden jedoch
war immens hoch. Doch Kon­
ditorenmeister Claus und seine
FraureagiertenwieeinstdieVor­
fahrenundbautenBackstubeund
Konditorei-Café wieder auf.
Geheimnis
der Jahre
„Wir sind sehr heimatverbun­
den und haben uns stets mit
der Region identifiziert. Das
Handwerk hat in der Stadt Ka­
stellaun Tradition. Die mit der
Landwirtschaft verbundenen
Betriebe wie Schmiede, Färber
oder Polsterer sind verschwun­
den, andere haben in der Le­
bensmittelversorgung der Stadt
und des Umlandes ihren Platz
behauptet“, beantwortet Rolf
Claus die Frage, wie es einem
Handwerksbetrieb gelingt über
Jahrhunderte amMarkt zubeste­
hen. „Heute liegt das Geheimnis
fürKundentreue auch in unseren
Zutaten“, lacht der Kondito­
renmeister. „Wir verwenden
ButterundkeineBackfette,echte
Vanilleschoten statt Vanillin,
keine Geschmacksverstärker.
Und Konfitüren für Füllungen
kochen wir auch selbst.“
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