Handwerk Special Nr. 164 vom 31. Oktober 2012 - page 3

Goldene Meisterbriefe übergeben / Interview zur Wirtschaftslage
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Nr. 164
31. Oktober 2012
Meisterjahrgang 1962
1962. Im Herbst macht die
Kuba-Krise Schlagzeilen.
Der Streit um russische
Atomraketen auf der
Karibik-Insel führt die
Welt an den Rand eines
Atomkrieges, während in
Deutschland Tausende
im Zuge der „Spiegel-
Affäre“ auf die Straße
gehen. Die Bundesrepu-
blik bewegt sich durch
eine nationale wie auch
internationale Krise.
Zeitgleich schmieden junge
Handwerker des Meisterjahr-
gangs 1962 kühne Zukunfts-
pläne und setzen mitten in der
Krise eigene Signale. Drei
von ihnen stellen wir vor, die
am 25. Oktober im Rahmen
der Altmeisterfeier bei der
Handwerkskammer Koblenz
ihre „Goldenen Meisterbriefe“
erhaltenhaben:Kfz-Mechaniker
Arno Sommer (Straßenhaus,
Westerwald), Fleischer Jürgen
Heinz Engelbert (St. Goar am
Rhein) und Drucker Wilhelm
Perz (Koblenz).
„Die Druckerei meines Vaters
gab es damals schon und ich
weiß, dass in Krisenzeiten Pa-
pier auf Vorrat gekauft wurde“,
denktWilhelmPerz auch an die
Zeit der „Kuba-Krise“, in der er
als Juniorchef in die Familien-
druckerei einsteigt und diese
später übernimmt.
50 Jahre Wirtschaftsgeschichte mit dem Meisterbrief
Nachgefragt
zur Konjunktur im Handwerk
DieWeltwirtschaftistaufZick-Zack-Kurs,
die Euro-Krise nach wie vor ein Thema.
National wie auch international ist die
Wirtschafts- und Finanzlage angespannt
undmit dem aktuellen Einbruch beimAu-
tomobilabsatz auch hierzulande greifbar.
„Grund zur Panik besteht nicht, doch wir
erwarten für die deutsche Gesamtwirt-
schaft eine konjunkturelle Abkühlung“,
wirft HwK-Präsident Werner Wittlich
einen Blick über den regionalen Teller-
rand hinaus und geht im Interview auf die
Lage des Handwerks imWirtschaftsraum
Mittelrhein ein.
Herr Wittlich, wie ist es um die Konjunktur im regionalen
Handwerk bestellt?
Die Stimmung ist gut und die großeMehrheit der befragtenUnter-
nehmenberichtet über eine gutewirtschaftlicheLage. Gleichwohl
ist eine leichte Abschwächung des positiven Trends erkennbar.
Darausmüssenwir alsHandwerkskammer, aber auchdieBetriebe
ihreSchlussfolgerungen ziehen.DasHandwerk steht gut imMarkt
und mit umsichtigem, vorausschauendem Agieren werden die
Betriebe der Region auf Erfolgskurs bleiben. Das spiegelt sich
auch wider im Ausblick: Für die kommenden drei Monate gehen
die befragten Handwerker von einer guten Entwicklung aus.
Der aktuelle Konjunkturbericht geht auch auf die Situa­
tion in einzelnen Branchen ein. Wir sieht es hierbei aus?
Der Baubereich ist nach wie vor in einer Boomphase. Nach zu-
rückliegend schweren Jahren sicher eine gute Nachricht. Andere
Bereiche, so das Kfz-Handwerk, sind zurückgefallen, was sicher
auch mit der allgemeinen Situation im Automobilsektor zu tun
hat. Das ist also kein typisches Problem des Handwerks.
Und wie stellen sich Indikatoren wie Auftragsbestand, Be­
triebsauslastung oder Beschäftigungssituation dar?
Diese Werte liegen leicht unter den guten Ergebnissen des Vor-
jahres. Hier sehen wir keinen Grund zur Sorge, denn vorsichtiges
Handeln im Gesamtumfeld eines Marktes ist ganz normal und
richtig.DieUnternehmenbewertenihreLagenichtisoliert,sondern
beobachtensehrgenaudiegesamtwirtschaftlichenZusammenhän-
geundziehenihreFolgerungendaraus.DochgeradeimBereichder
Personalpolitik sehen wir eine hohe Stabilität und das Handwerk
ist bekannt für besonnenes Verhalten imSinne seinerMitarbeiter.
BeimerstenWölkchen amHorizont wird nicht über Entlassungen
versucht, die Aussichten für den Betrieb zu verbessern. Vielmehr
packt man bei Problemen gemeinsam an.
Dazu passend – wie fällt die aktuelle Ausbildungssituation
aus?
Auch hier überzeugt das Handwerk mit guten Zahlen. Bisher
wurden 3.486 neue Lehrverträge in diesem Jahr abgeschlossen.
Das sind gerade einmal 1,4 Prozent weniger, als zum gleichen
Zeitpunkt des Vorjahres. Insgesamt erlernen 8.121 Jugendliche
momentaneinenHandwerksberuf imnördlichenRheinland-Pfalz.
Aus Sicht des Handwerks sicherlich erfreulich, denn wir bilden
heute bereits unsere Fachkräfte von morgen aus. Aber auch
aus Sicht der Jugendlichen ist das ein Bekenntnis zur „Wirt-
schaftsmacht von nebenan“, denn die Entscheidung für einen
handwerklichen Beruf wurde sehr bewusst getroffen. Wenn ich
heute als Jugendlicher meine Zukunft plane und eine berufliche
Entscheidung treffe, dann sicher nicht für einen Krisenbereich
oder in einem Wirtschaftszweig ohne fachlichen Inhalt und
persönliche Perspektive. Wie spannend Handwerk ist und was
es alles bietet, ist auch Thema bei der kommenden „Nacht der
Technik“ am 3. November in unseren Berufsbildungszentren in
der August-Horch-Straße. Eine Veranstaltung, die mich Jahr für
Jahr immer wieder begeistert, und ich freue mich bereits jetzt auf
die siebenteAuflage, die sicherwieder vielNeues undSpannendes
bieten wird und zu der wir herzlich einladen!
Foto: P!ELmedia
HwK-Präsident
Werner Wittlich
Familienangelegenheit
seit 1750
„Seit circa 1750 ist der Familien­
name mit dem Fleischerhand-
werk verbunden“, blickt Jürgen
Engelbert auf die Familientra-
über die Veränderungen der
vergangenen Jahrzehnte freuen
kann.MitdemMeisterbrief1962
starteteerindieSelbstständigkeit
und baute ein Unternehmen auf,
das sich rasant entwickelte.Ganz
dem Automobil und der Kund-
schaft verpflichtet, nahm
und nimmt Arno Sommer
auchweiteWege auf sich,
um Mensch und Technik
zusammen zu bringen.
„Die weiteste Strecke für
die Auslieferung führte
mich Mitte der 1980er
Jahre nach Moskau. Ein
Mitarbeiter der deutschen
Botschaft hatte bei uns
in Straßenhaus ein Auto
geordert und ich habe es
übergeben“, schmunzelt
Sommer, der vor wenigen
Wilhelm Perz, Druckermeister
aus Koblenz.
Fleischermeister Jürgen En-
gelbert aus St. Goar.
Kfz-Mechanikermeister Arno
Sommer aus Straßenhaus.
Die HwK Koblenz ehrt „ihre“ 120 Altmeister, die 1952
und 1962 ihre Meisterprüfung bestanden haben.
Hier geht’s
mit dem
Smartphone
zum Filmbei-
trag aus HwK-TV vom 17.
Tagen ein Auto nach Bremen
verkauft, dort zugelassen und
der Kundin vor die Haustür
gestellt hat.
dition, die er mit seiner
Ausbildung zum Fleischer
in den 1950er Jahren fort-
setzte. 1962 legte er die
Meisterprüfung ab und
machte sich anschließend
selbstständig. Das Unter-
nehmen wächst und heute
gibtesnebendemHauptsitz
in St. Goar zwei Filialen in
Boppard und Oberwesel,
in dem auch die beiden
Töchter – natürlich beide
Fleischermeisterinnen!
– und Ehefrau Christa mit-
arbeiten.Zufriedenundmit
Stolz blickt JürgenEngelbert auf
die Jahre zurück, in denen man
gemeinsam und mit Erfolg den
Betrieb aufgebaut hat.
Kfz-Auslieferung hinter
den Eisernen Vorhang ...
Zufrieden, das ist auch Arno
Sommer aus Straßenhaus, wenn
er täglich durch die Tür seines
Autohauses kommt und sich
Noch heute ist der inzwischen
76-jährige Druckermeister im
Familienunternehmen aktiv, das
er bereits vor Jahren an Sohn
Marcus übergeben hat. „Die
Arbeit macht mir immer noch
viel Spaß“, blickt Wilhelm Perz
zufrieden zurück. „Als ich an-
fing, wurde noch mit Bleilettern
gedruckt. Heute arbeitenwir mit
Digitaldruck“, beschreibt er den
Fortschritt von 50 Jahren.
Foto: P!ELmedia
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