Handwerk Special Nr. 158 vom 24. März 2012 - page 22

Tischlerin Marina Helsper
(22)
aus Höhn/Ww. (Schuhmann Möbel-
werkstätte, Altenkirchen): „Ich denke,
Politikverständnis hat auch etwas mit
dem Alter zu tun. Als 15-Jähriger
diskutiert man andere Themen. Ich
interessiere mich für Politik, weil
ich täglich damit konfrontiert werde.
So ärgere ich mich als Autofahrerin
konkret über die steigenden Benzin-
preise. Ich weiß, dass die Bundesre-
gierung eine zusätzliche Entlastung
von Berufspendlern durch eine
Aufstockung der Entfernungspau-
schale ablehnt. Das ist doch nicht
in Ordnung. Intensiv verfolgt habe
ich auch die Vorgänge rund um das
Loveparade-Unglück von 2010.
Ich finde es gut, dass der Oberbür-
germeister von Duisberg, Adolf
Sauerland, per Bürgerentscheid
abgewählt wurde. Mehr Bürger-
entscheide zu den unterschied-
lichsten Themen würde ich mir
wünschen.“
Zimmerer Maximilian Glesius
(21) aus Nörtershausen/Hunsrück
(Zimmerei Neubauer, Dörth): „In
unserem Dorf werden politische
Themen regelmäßig diskutiert. Jeder
kennt halt jeden. Da spricht man wie
der Schnabel gewachsen ist. Ich spü-
re dann vor allem Ärger und Wut,
was bestimmte Entscheidungen
der Bundesregierung, konkret jetzt
beim Euro, betrifft. Griechenland
hätte sich außerhalb der EU regene-
rieren müssen. Mein persönliches
Fazit heißt: Der Euro muss gestärkt
werden, weil er wesentlich zu
einem starken Europa beiträgt.
Auch über den Rücktritt von
Christian Wulff haben wir im Dorf
gesprochen. Alle sehen jetzt nach
vorn. Von dem neuen Bundesprä-
sidenten wünsche ich mir, dass er
von Anfang an mit offenen Karten
spielt. Das Amt steht für Ehrlich-
keit und Verlässlichkeit.“
Maurer Kai Elberskirch
(18) aus
Ariendorf bei Bad Hönningen (Bau-
unternehmung Elberskirch, Arien-
dorf): „Ich denke bei Politik zuerst
an den Rechtsextremismus. Jede
Aktion gegen Hass und Intoleranz
unterstütze ich. So fand ich gut, dass
sich beispielsweise im vergangenen
Jahr ein überparteiliches Bündnis
gegründet hat, um dem Naziauflauf
in Remagen entgegen zu wirken.
Die Brücke von Remagen war am
Ende des 2. Weltkriegs ein hart
umkämpfter, strategischer Nach-
schubweg über den Rhein. Die
rechte Szene wollte den Platz der
Befreiung von Nazideutschland
durch die Alliierten für das Ge-
denken an deutsche Opfer miss-
brauchen.“
Kfz-Mechatroniker Steven
Oster
(19) aus Neuwied
(Auto Teile Unger, Neuwied):
„Meine verstorbene Mutter
kam aus Monaco und hat als
Krankenschwester in Deutschland
Fuß gefasst. Vielleicht interessiert
mich deshalb die Migrationspolitik
der Bundesregierung besonders.
Aus familiärem Erleben weiß
ich, dass Integration in den
Arbeitsmarkt oberste Priorität
hat. Das kürzlich verabschiedete
Anerkennungsgesetz von
ausländischen Berufsabschlüssen
finde ich sehr gut.“
Die junge Seite: Themen, bei denen die Jugend mit diskutiert
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Nr. 158
24. März 2012
Eigentlich geht’s uns ganz gut ...
VorzehnJahrenwurdederEuroeingeführt.
Heute stellt sich die Frage, wie es mit dem
Euro und einzelnen, hoch verschuldeten
MitgliedsstaatenderEurozoneweitergeht.
Welche Erwartungen haben wir an Bun-
despräsident JoachimGauck? Ist der Streit
um den Freizeitpark amNürburgring eine
„Neverending Story“? Die Meldungen,
die tagtäglich durch die Presse gehen,
rufen zum Teil Unverständnis, aber auch
Zustimmung in der Bevölkerung hervor.
Aktuelle Debatte: Welche Gefühle löst das Wort „Politik“ bei Lehrlingen aus?
Kfz-Mechatroniker Stefan
Fuhrmann
(19) aus Neuwied
(Autohaus Kögler, Neuwied):
„Wir sprechen in der Familie
über aktuell anstehende politische
Themen. Unter Jugendlichen ist
die Politik weniger Gesprächsstoff.
Vielleicht liegt es am Alter. Es gibt
einfach spannendere Dinge.“
Maurer Sandro Balestra
(23)
aus Dreisbach/Ww. (Hubert
Eberz Bau, Freilingen): „Ich habe
Vertrauen in die Politik. Sind wir
doch ehrlich, gemessen an Hun-
gersnot und Naturkatastrophen in
vielen Ländern der Welt, geht es
uns doch richtig gut. Was soll das
ständige Meckern?“
Zimmerer Sascha Moos
(20)
aus Simmern (DFH-Haus, Sim-
mern): „Über Politik diskutiere
ich im Freundeskreis eher selten.
Thematisiert werden dann vor
allem aktuelle Dinge, die durch die
Medien gehen. Die Vorgänge um
den Bundespräsidenten, die Aufsto-
ckung des Euro-Rettungsschirms,
der Abzug der Bundeswehrtruppen
aus Afghanistan sorgen schon für
Gesprächsstoff. Man tauscht kurz
die Meinung aus und das war es
dann auch.“
Tischler Kevin Pokula
(17)
aus Adenau (Schreinerei Römer,
Adenau in Kooperation mit dem
Bildungswerk der rheinland-rhein-
hessischen Wirtschaft): „Beim
Stichwort Politik denke ich zuerst
an den Nürburgring. Kaum ist
einmal Ruhe, gibt es neue Schlag-
zeilen um Geldgeber, Pächter und
Betreiber. Die Achterbahn, die
einst die schnellste der Welt sein
sollte, fährt immer noch nicht. Wir
diskutieren über den Euro-Rettungs-
schirm für Griechenland. Doch Po-
litik fängt doch vor unserer Haustür
an.“
Wie groß ist das Politikverständnis unter
Jugendlichen? Haben sie noch Vertrauen
in die Politik? Überwiegen Engagement
und Interesse oder ist eine Politikverdros-
senheit spürbar?
Wir haben Handwerkslehrlinge, die sich
in überbetrieblichen Lehrgängen bei der
HwKKoblenzbefinden(ihreAusbildungs-
betriebe stehen in Klammern), befragt,
welche Assoziationen der Begriff Politik
generell bei ihnen hervorruft. Einige ant-
worten spontan, andere überlegen länger.
Begriffe wie Abzocke, Lügen und Ver-
trauensmissbrauch fallen. Über die Hälfte
der Befragten nennt die Ereignisse umden
ehemaligen Bundespräsidenten. Jedoch
schwankt hier die Meinung zwischen
Wahrung der Privatsphäre eines Politi-
kers und seiner Vorbildwirkung in jeder
Beziehung.DerEuro-Rettungsschirmwird
thematisiert. Auch hier scheiden sich die
Geister an der Richtigkeit der getroffenen
Entscheidung. Der Begriff Rechtsextre-
mismus fällt, vereinzelt assoziiertmanmit
der Politik auch den Konflikt im Nahen
Osten. Jeder Dritte gibt an, sich wenig
oder gar nicht für politische Themen zu
interessieren. Das allgemeine Fazit lautet:
Eigentlich geht es uns ganz gut!
Es fällt auf, je länger die Jugendlichen
über Politik nachdenken, um so offener
und diskutierfreudiger werden sie. Sie
thematisieren Ereignisse in der Welt
ebenso wie politisches Geschehen aus
ihrem Umfeld. Sie äußern sich impulsiv
und sehr emotional. Politik ist nicht das
über allem stehende Thema für sie, aber
Politik geht sie durchaus an.
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