Handwerk Special Nr. 145 vom 11. Dezember 2010 - page 3

Handwerk ohne Grenzen: Gelungene Integration im Berufsleben
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Nr. 145
11. Dezember 2010
GelungeneIntegration
Die neun jungen Männer auf dem Titelfoto möchten Fliesen-, Platten- und
Mosaikleger werden. Im Rahmen ihrer Grundausbildung absolvieren
sie im Bauzentrum der Handwerkskammer Koblenz einen einwöchigen
Lehrgang im Gerüstbau. Einige haben einen Migrationshintergrund.
Die Nationalität spielt für die Handwerkslehrlinge aber keine Rolle. Alle möchten
die Gesellenprüfung bestehen als Voraussetzung, ihr Leben selbst zu gestalten.
Weihnachten ist für die Jugendlichen vor allem ein Familienfest. Sie sind aufge-
schlossen, offen und neugierig. Sie finden es interessant, sich mit Gleichaltrigen
aus anderen Kulturen auszutauschen. Fazit aus dem Gespräch mit den deutschen,
türkischen, estnischen und armenischen Lehrlingen über Integration: Sie gelingt nur
über die Sprache und mit Toleranz.
Lehrlinge zum Miteinander und über Weihnachten
Nachgefragt „Neue Wege der Nachwuchssicherung“
Deutschland im demografischen Wandel – ein Thema,
das für die Wirtschaft längst zur Chefsache geworden
ist. Denn nur, wer heute seine Nachwuchssicherung
perspektivisch erfolgreich gestaltet, wird morgen
mit gut ausgebildeten Fachkräften planen können.
Handwerk Special sprach mit HwK-Präsident Werner
Wittlich über Fachkräftesicherung und das Projekt
„Handwerk integriert Migranten“.
Herr Wittlich, die Alarmzeichen der Demografen sind
unübersehbar. Was kommt auf das Handwerk zu?
Nicht nur das Handwerk steht vor der großen Heraus-
forderung, dass es bereits heute – und in Zukunft noch
deutlicher – weniger Schulabsolventen gibt. Die Folge:
Weniger Jugendliche stehen dem Ausbildungsmarkt zur
Verfügung. Es kommt also darauf an, sich hier gut zu
positionieren, mit Werten zu überzeugen und die Jugendlichen anzusprechen. Das
Handwerk hat früh diese Entwicklung erkannt und sich rechtzeitig und gut aufge-
stellt. Wir sprechen die Jugendlichen direkt an, informieren Schule und Eltern über
Möglichkeiten im Handwerk. Unsere Imagekampagne ist so ausgerichtet, dass sie
über ein frisches, modernes Erscheinungsbild bundesweit deutlichmacht: Handwerk
ist Hightech und hat Zukunft!
Muss sich also das Handwerk weniger Sorgen um die Fachkräftesicherung
machen, als andere Wirtschaftsbereiche?
Wir stehen vor den gleichen Herausforderungen wie andere, aber wir haben unsere
Hausaufgaben bisher recht gut gemacht. Dazu zählen auch Projekte wie „Handwerk
integriert Migranten“, das gezielt Jugendliche mit Migrationshintergrund für das
Handwerk gewinnen will. Auch hier haben wir in einem besonderen Bereich große
Erfolge erzielen können.
Worauf führen Sie diese Erfolge zurück?
Unsere Berater sprechen gezielt Betriebe an, deren Handwerksmeister selbst einen
Migrationshintergund haben. Die Jugendlichen werden in speziellen Kursen bei
der Handwerkskammer auf die Ausbildung vorbereitet. Und weil wir sehr genau
wissen, welche Anforderungen durch die Betriebe gestellt werden, können wir die
Kurse genau auf diese Inhalte ausrichten. Die Vermittlung zwischen Betrieb und
Jugendlichen erfolgt über dieArbeit derHwK-Ausbildungsberater, die imVorfeldder
Ausbildung und über deren Dauer ständiger Ansprechpartner bleiben. Es ist also eine
Dreiecksbeziehung aus Betrieb, Jugendlichen und Handwerkskammer. Und unsere
bisherigenErfolge bei derVermittlung sind sehr beeindruckend, denn seitAuflage des
Projektes vor drei Jahren konnten über 200 ehrenamtliche Paten gewonnen und fast
100 Jugendliche in Ausbildungsbetriebe übermittelt werden. Das Zusammenwirken
in einemNetzwerk und die kontinuierliche Zusammenarbeit von der Schule über die
Ausbildung bis hin zur Betriebsgründung sowie die Einbeziehung des persönlichen
Umfelds, z. B. durch Elternarbeit, sind Schlüssel des Erfolges.
Gibt es klassische Defizite, die bei den Jugendlichen mit Migrationshinter-
grund festgestellt werden?
Nein. Mängel bei den schulischen Noten sind ein Problem der Jugendlichen, nicht
derNationalität. Sprachprobleme habendiemeisten Jugendlichen, die inDeutschland
aufgewachsen sind, auch nicht. Ein klassisches Muster können wir bei Defiziten
nicht erkennen, aber die Tatsache, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund im
Vergleich zu deutschen Jugendlichen mit gleichen Voraussetzungen mehr Probleme
haben, eine Ausbildungsstelle im Handwerk zu finden. Hier steuern wir mit dem
Projekt „Handwerk integriert Migranten“ gezielt gegen.
Wie erfolgreich die Jugendarbeit im Kammerbezirk ist, zeigen auch die
jüngsten Ergebnisse des Leistungswettbewerbs der Handwerksjugend. Wie
schätzen Sie die Ergebnisse ein?
Auchhier gilt: Es ist Teamwork.Wenndie jungenHandwerker amEnde ihrer Lehrzeit
mit Spitzenleistungen Landes- oder sogar Bundessiege einfahren, steht dahinter auch
immer einAusbildungsbetrieb und die einzelnenAusbilder. ZumTeamgehören auch
die Berufsschulen, die Handwerkskammern, die Familie. Nur wenn alles passt, sind
Höchstleistungenmöglich.NatürlichfreuenwirunsalsHandwerkskammersehr,wenn
auf dem Podest des Bundesentscheides unsere Jugendlichen stehen, ganz besonders,
wenn es der oberste Platz ist. Wir als Kammer sind auch sehr stolz darauf, dass ein
Landessieg an eine unserer Auszubildenden ging. Christina Schäfer ist Kauffrau für
Bürokommunikation und wurde 1989 in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe
geboren. Ich denke, besser lassen sich die Themen Jugend, Migration, Fachkräfte-
sicherung und Spitzenleistung im Handwerk nicht beschreiben!
Foto: P!ELmedia
HwK-Präsident
Werner Wittlich
David Feil:
„Ich
denke, jeder hat das
Recht auf Bildung.
Chancengleichheit ist
ein Schlüssel für das
gute Miteinander mit
jungenLeutenmitMi-
grationshintergrund.Wichtig ist auch, sich
gegenseitig zu akzeptieren.Weihnachten?
Familie und gutes Essen.“
Werner Faas:
„Ich
bin in Estland geboren
und lebe seit 1998 in
Deutschland. Integra-
tionsprobleme kenne
ich nicht. Ich denke,
wichtig ist, dass man
die deutsche Sprache spricht. Mangelnde
Sprachkenntnisse erschweren die Kom-
munikation. ZumWeihnachtsfest gehören
Weihnachtsbaum, Weihnachtsbraten und
das Zusammensitzenmit der Familie. Das
zählt mehr als materielle Dinge.“
Oliver Thiem:
„Mein
bester Freund ist Tür-
ke. Für mich zählt der
Mensch. Jeder soll das
für ihn Bestmögliche
erreichen, im Privat-
leben und im Beruf.
Ich strebe nach der
Meisterkrone. Ich denke, ein Meisterbe-
trieb zählt, auch wenn der Meisterbrief
in meinem Handwerk keine Vorausset-
zung für die Selbstständigkeit ist. Einen
materiellen Wunsch habe ich auch. Ich
wünsche mir ein Handy. Weihnachten
kommt da gerade recht. Ein selbst gefällter
Weihnachtsbaum wird im Wohnzimmer
stehen.“
Hüseyin Kizilir-
mak:
„Meine Familie
kommt aus Anatolien.
Ichbin inDeutschland
geboren. Fremden-
feindlichkeit ist mir,
wohl aufgrundmeines
Äußeren, schon begegnet. Das war beim
Biertrinken im Kulturhaus nach einem
Fußballspiel.Da fallen schonmal negative
Worte. Überbewerten sollteman dies aber
nicht.Auchunter denTürkengibt esLeute,
die Deutsche vollpöbeln. Ich denke, man
muss sich anpassen und die Vielfalt der
Kulturen als eine Chance sehen, seinen
Horizont zu erweitern. AlsMuslime feiern
wir kein Weihnachtsfest. Aber unsere
älteren Nachbarn bekommen Geschenke.
Ich bin sicher, es wird sie freuen.“
Pascal Piasecki:
„Ich
denke, zur Integration
gehört Toleranz.Gegen-
seitigesVerständnis und
ein aufeinander Zuge-
hen. Gespräche helfen,
Vorurteile gegenüber
Migranten abzubauen.
Schwarze Schafe findet man doch über-
all. Weihnachten? Der Weihnachtsmann
kommt zuden jüngerenVerwandten, denn
die Familie feiert zusammen. Materielle
Wünsche erfülle ich mir gern vom eige-
nen Geld.“
Ruslan Gjulbangjan:
„Ich komme aus Ar-
menien. InDeutschland
lebe ich seit elf Jahren.
Es war schon ein stei-
niger Weg, denn ich
habe nur armenisch
gesprochen. Inzwischenbeherrsche ichdie
Spracheundbinauchmentalangekommen.
Ich habe eine unbefristete Aufenthalts-
genehmigung. Die Sprachbeherrschung
ist das Wichtigste beim Einleben. Mein
Chef kommt übrigens aus Russland und
hat damals bei der HwK Koblenz eine
Umschulung zum Straßenbauer und Flie-
senleger gemacht. Er hat mir direkt die
Chance gegeben, meinen Wunschberuf
zu lernen. Als Christen spielte für unsere
Familie das Weihnachtsfest schon immer
eine große Rolle. Daran hat sich nichts
geändert. Familie und Religion stehen
über jedem Kommerz.“
Maximilian Schäfer:
„Ich denke, wer in sei-
nem Beruf gute Arbeit
leistet, kommt auch
voran. Die Nationalität
spielt dabei keineRolle.
Höfliches Auftreten
undKorrektheit zählenmehr als ein fremd
klingender Name. Wer hart arbeitet, kann
auch Ziele erreichen. Weihnachten? Ge-
schenke sind mir weniger wichtig, eher
gute Gespräche in der Familie, weil dann
mehr Gelegenheit dazu ist und die Weih-
nachtszeit einfach eine besinnliche Zeit
ist.“
Fortsetzung auf Seite 4
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Weitere Infos zum Projekt „Handwerk integriert Migranten“,
Tel.: 0261/ 398-324, E-Mail:
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