Handwerk Special Nr. 134 vom 4. November 2009 - page 19

Soziales Engagement als Wirtschaftsfaktor für das Handwerk
19
Nr. 134
4. November 2009
Was ist
ein Integrationsunternehmen?
Integrations-
firmen bieten
behinderten
Menschen ei-
ne dauerhafte
Beschäftigung
auf dem allge-
meinen Ar-
beitsmarkt.
Im Sozialgesetzbuch werden drei Arten
unterschieden. Integrationsunternehmen
sind rechtlich und wirtschaftlich selbststän-
dige Unternehmen mit erwerbswirtschaft-
licher Ausrichtung. Darüber hinaus kennt
das Gesetz unternehmensinterne, rechtlich
unselbstständige Integrationsbetriebe oder
-abteilungen von Unternehmen bezie-
hungsweise öffentlichen Arbeitgebern, die
selbst nicht Integrationsunternehmen sind.
Sauber aufgestellt
Von der Wäscherei der US-
Streitkräfte zum Integrations-
betrieb des Landes Rheinland-
Pfalz: In gut 20 Jahren
hat Familie Reccius
ihre ganz persön-
liche Konversion
gestaltet und ist für
die Zukunft meister-
lich aufgestellt.
Textilpflege Reccius setzt als Integrationsbetrieb Zeichen
Steckbrief: Textilpflege Reccius, Pfaffen-Schw.
Gegr.1988 | 90Mitarb.(2Meister) | AnnahmeninBadKreuznachu.Alzey |
priv.u.gewerbl.Kunden|Tel.:06701/916040
„Am laufenden Band“ wird die
Mehrkammerwaschmaschine
in der Annahme bestückt.
Bett- und andere Flachwäsche
wird in computergesteuerte
Großbügler eingespannt.
Gescannt und automatisch sor-
tiert kommt die gereinigte und ge-
bügelte Wäsche zum Besitzer.
Persönliche Bekleidungs-
stücke erhalten den letzten
„Feinschliff“ von Hand.
Textilpflege als Familiensache seit mehr als 20
Jahren (v.l.): Karl-Axel, Gabriele, Heidemarie und
Ralf Reccius an einer historischen Mangel.
Jahrelang hatten Hei-
demarie und Karl-Axel
Reccius die Wäschereien
der US-Stützpunkte in
Bad Kreuznach, Frank-
furt, Kaiserslautern, Aug-
sburgundWürzburggeleitet.
„Über die Army haben wir
unsere Ausbildung in den
USA gemacht“, erzählt die
65-jährige Unternehmerin.
Für die Tätigkeit innerhalb
der Kasernenmauern optimal
– für eine Anstellung auf dem
deutschen Arbeitsmarkt aller-
dings waren die Papiere nach
dem Abzug der Truppen nicht
viel wert.
Zweites
Standbein
„Wir haben uns deshalb für die
Selbstständigkeit entschieden
und die Ladenkette einer Che-
mischen Reinigung übernom-
men“,blicktHeidemarieReccius
zurück. Wie viele andere in der
Schnellreinigerbranchebekamen
siedannAnfangder1980erJahre
allerdings die Auswirkungen
neuer Umweltvorschriften zu
spüren. „Deshalb wollten wir
uns breiter aufstellen und die
Wäscherei als zweitesStandbein
aufbauen. Also entschied ich
mich für die Meisterprüfung im
Textilreinigerhandwerk, klinkte
mich für ein halbes Jahr aus
dem Betrieb aus und bestand
1990 als Jahrgangsbeste von 63
Teilnehmern die Meisterprü-
fung – mit 46 Jahren“, wie sie
schmunzelnd ergänzt. Neben
Privatleuten gehören heute
Hotels, Senioreneinrichtungen
und Gastronomiebetriebe zu
den Kunden.
Gemeinsam mit ihrem Mann
Karl-Axel – als praktischer
Betriebswirt kümmert der 67-
Jährige sich vor allem um alles
Technische –, hält Heidemarie
Reccius die Fäden in der Hand.
Entscheidungen werden aber
längst im Familienrat getroffen
mit Sohn Ralf, seit 1999 Tex-
tilreinigermeister und für die
Kundenbetreuung zuständig,
und Tochter Gabriele als rechte
Hand der Mutter in der Perso-
nalbetreuung; der Generations-
wechsel erfolgt fließend.
Lernprozess
für alle
Ein wichtiger Einschnitt war
2007 die Umstrukturierung zum
Integrationsunternehmen. „Wir
wolltenundmussten investieren,
um konkurrenzfähig zu bleiben.
Bei den Banken holten wir uns
eine Abfuhr. Heute zahlen wir
diemonatlichenRaten an unsere
Mitarbeiter statt an die Bank!“,
überrascht die Meisterin und
fügt erklärend hinzu, dass „wir
aus der Abgabe der Betriebe,
die die vorgeschriebene Behin-
dertenquote nicht erfüllen, eine
Landesförderung für zusätzlich
eingerichtete Vollzeit-Arbeits-
plätze für Behinderte erhalten
haben“.
UnterBerücksichtigungderTeil-
undVollzeitkräftewirdfastjeder
dritte Arbeitsplatz bei Reccius
durch einen Menschen mit Be-
hinderung ausgefüllt. „Von der
Annahme bis zur Aushändigung
durchläuft ein Wäschestück bis
zu 32 Einzelschritte. Darunter
sind auch Tätigkeiten, die we-
niger Qualifikation erfordern.
Die neue Konstellation war
für uns alle ein Lernprozess.“
Heidemarie Reccius erinnert
sich daran, dass sie dabei gegen-
über nichtbehinderten Kollegen
deutlich machen musste, dass
auch deren Arbeitsplatz von der
Behindertenförderung abhänge.
„Heute fällt bei einemRundgang
nicht mehr auf, wer bei den
Mitarbeitern zu welcher Gruppe
gehört.“ Weitere Arbeitsplätze
für Behinderte sind nach neu-
erlichen Investitionen in die
maschinelle Ausstattung in der
Vorbereitung.
I
nfos
In einem Integrationsunternehmen soll der Beschäfti-
gungsanteil schwerbehinderter Menschen zwischen 25
und 50 Prozent betragen, in den Integrationsbetrieben oder
Abteilungen mindestens 25 Prozent. Die Festschreibung
von Beschäftigungsanteilen soll sicherstellen, dass einer-
seits eine echte Integration gelingt, andererseits auch eine
ausreichende Wettbewerbsfähigkeit gewährleistet bleibt.
Das Land unterstützt Integrationsfirmen durch einmalige In-
vestitionszuschüsse von bis zu 22.500 Euro pro Arbeitsplatz
oder pauschalierten Minderleistungsausgleichszahlungen
von 30 Prozent des Arbeitgeberbruttolohnes. Der besondere
Aufwand für die betriebsinterne Betreuung der behinder-
ten Mitarbeiter wird ebenso gefördert wie die notwendige
betriebswirtschaftliche Beratung. Die in diesen Firmen be-
schäftigten Mitarbeiter müssen in sozialversicherungspflich-
tigen Beschäftigungsverhältnissen mindestens 18 Stunden
wöchentlich beschäftigt und entsprechend der tariflichen Re-
gelungen oder ortsüblichen Entgeltzahlungen entlohnt werden.
Die Förderung als Integrationsfirma setzt voraus, dass mindes­
tens drei Arbeitsplätze für behinderte Menschen neu geschaffen
werden. Derzeit haben bereits über 700 behinderte Menschen
in 65 verschiedenen Unternehmen in Rheinland-Pfalz einen
sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz gefunden.
Kostenlose Unterstützung bei Konzepterstellung und Beantra-
gung bei der Servicestelle des Landes für Integrationsfirmen,
Tel.: 0651/ 95566, Internet:
er
... bei der HwK-Betriebsberatung, Tel.: 0261/
398-251, E-Mail:
1...,9,10,11,12,13,14,15,16,17,18 20,21,22,23,24
Powered by FlippingBook