Handwerk im Winter vom 13. Dezember 2008 - page 2

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Bevor wir in die Zielgerade zu
Weihnachten und dem Jahres-
wechsel münden, dürfen wir die
in dieser Jahreszeit ungemütlichen
Tage mit etwas Freundlichem
aufhellen. Mit „Handwerk im
Winter“, einer kleinen Magazin-
beilage im Zeitungsformat, die
ihr Licht in der Adventszeit nicht
zu verstecken braucht. Als Me-
dium zwischen den Jahreszeiten
erscheint die­se Beilage zur Rhein-
Zeitung made by Handwerkskam-
mer Koblenz vier Mal im Jahr.
Derzeit sind wir bei Nummer 36.
Es geht auch diesmal nicht
oder nicht nur um Stollen per
Hauptgeschäftsführer Karl-Jürgen Wilbert (2.v.r.) beim traditionellen Weihnachtsgespräch mit
angehenden Handwerksmeistern, deren Wurzeln in den Ländern Europas liegen. In diesem
Jahr nahm auch Heinz Ackermann (2.v.l.) vom Bundeswirtschaftsministerium teil.
Mausklick, den Festtagsbraten zum 1. Feiertag oder ei-
nen nochmaligen Gang durch die Galerie Handwerk in
der Rizzastraße in Koblenz, wenn es sich auch lohnt,
wie ich aus Erfahrung und dank spontaner Kaufent-
scheidungen hinreichend weiß. Aber der einen oder
anderen Versuchung sollte man doch nachgehen.
Es geht, wie so oft, um ungewöhnliche Handwerks­ideen
oder um außergewöhnliche Aufträge fürs Handwerk im
In- und Ausland. Aber lesen Sie selbst, verehrte Lese-
rinnen und Leser. Schauen Sie selbst, wie man zur Weih-
nachtszeit aufs Pferd kommt. Vielleicht gefällt Ihnen
aber eher das 33. Weihnachtsgespräch und die kleine
Nachdenklichkeit, die es auch bei mir ausgelöst hat. Und
schließlich, die Zukunft gehört den jungen Leuten.
Stichwort: Jugend. Gratulation allen Kammer-, Landes- und
Bundessiegern im Leistungswettbewerb des Deutschen Hand-
werks. Gratulation ihren Eltern und ihren Betrieben. Es ist ihr
gemeinsamer Erfolg. Schön, dass ein Lehrling aus der Verwal-
tung der Kammer mit dabei ist. Kompliment der jungen Kol-
legin Lydia Pfahl und ihrer Ausbilderin Silke Below-Köfer.
Wir schließen ein dichtes Jahr ab, prall gefüllt mit groß-
en und kleinen Ereignissen. Von der Finanz- und Wirt-
schaftskrise bis zum neuen Hauptgeschäftsführer der
Handwerkskammer Koblenz, Ass. jur. Alexander Baden.
Ich wünsche ihm Erfolg und stets geneigte Leser, wie
Sie, meine Damen und Herren, es stets gewesen sind.
Man sieht sich!
Ihr
Die Kolumne:
Mitte Dezember 2008
Dr. h. c. mult. Karl-Jürgen Wilbert
Schreiben Sie mir, wenn Sie Kontakt wünschen:
Weihnachtsgespräch 2008
Die Gäste von Karl-Jürgen Wilbert
In über drei Jahrzehnten hat sich Karl-JürgenWilbert mit über 200 angehenden
Handwerksmeistern aus 25 verschiedenen Nationen zu den Weihnachtsge-
sprächen getroffen. Fast alle Handwerksberufe waren vertreten, darunter auch
seltenewieGeigenbaueroderFeintäschner.AuchHandwerksmeisterinneninspe
erzählten hier, wie sie Familie und Meisterschule unter einen Hut bringen.
Zum vorweihnachtlichen Gespräch waren in diesem Jahr eingeladen: Viktor
Salzseiler (Kasachstan), Metallbauer aus Steinebach, der bosnische Maler und
Lackierer Tahir Ramadani aus Cochem, der kroatische Elektrotechniker Miro
Donlic aus Weitersburg, Elektrotechniker Aivars Gravis ist in Riga geboren
und lebt jetzt in Bad Kreuznach, Boris Jurisic, kroatischer Kfz-Techniker aus
Montabaur und der türkische Straßenbauer Tanju Tikiz aus Neuhäusel. Als
Gast ist auch Heinz Ackermann vom Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologiedabei.SeinAufgabenschwerpunktistnebenderberuflichenBildung
auch die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund.
Meister werden? Informationen bei der HwK-Meisterakademie, Tel.:
0261/ 398-415, Fax: 0261/ 398-990, E-Mail:
Internet:
Hier eine Schneise schlagen, dort einen Fluss umleiten
oder zubaggern und los geht’s mit dem Straßenbau
– das war vielleicht einmal so. Heute wird anders ge­
plant und mehr Rücksicht auf die Umwelt genommen.
Mit
Turbo
in die Selbstständigkeit
Faruk Tütüncü auf Erfolgsweg als Straßenbauermeister
Straßenbauermeister Faruk Tütüncü
aus Selters hat seinWissen und Kön-
nen bei der Meisterprüfung der HwK
Koblenz im Sommer letzten Jahres
erfolgreich unter Beweis gestellt.
Bereits ein halbes Jahr danach hat
sich der junge Türke selbstständig
gemacht. Er beschäftigt einen Ge-
sellen und bildet seit August zum
ersten Mal aus.
„Die Aufgaben bei der Meister-
prüfung waren sehr anspruchsvoll,
es ging nicht nur um verschiedene
Pflasterarbeiten,sondernauchdarum,
einen Wanderparkplatz mit einer
Zufahrtsstraße von etwa 300 m zu
planen. Dazu waren ein Lageplan,
einHöhenplan, einRegelquerschnitt,
Querprofile und ein Kostenvoran-
schlag anzufertigen“, erinnert sich
Faruk Tütüncü. Er ist in Deutsch-
land geboren und hat hier Schule
und Lehre mit guten Ergebnissen
beendet. Seine Eltern kamen vor 30
Jahren vom Schwarzen Meer nach
Rheinland-Pfalz.
„Sehr wichtig für die Selbstständig-
keit sind die betriebswirtschaftlichen
und rechtlichen Kenntnisse“, so der
24-Jährige. Er ist überwiegend im
Straßen- und Tiefbau tätig sowie als
Subunternehmer für Bauunterneh-
men. „Es ist nicht einfach, sich am
Markt einen Namen zu machen“,
räumt er ein und fügt hinzu: „Das
hat aber nichts mit der Nationalität
zu tun.“
Sommer
2007:
Faruk
Tütüncü
beim
tech-
nischen
Zeichnen
während
der Meis­
terprüfung
bei der
HwK Ko-
blenz.
Herbst 2008: Faruk
Tütüncü hat seinen
eigenen Straßenbauer-
betrieb gegründet, be-
schäftigt zwei Mitarbei-
ter und legt selbst auf
der Baustelle Hand an.
Meisterkurse im
Straßenbauerhandwerk
DienächstenfachbezogenenHwK-Meistervorberei-
tungskurse für Straßenbauer beginnen inRheinbrohl
Infos&AnmeldungbeiderHwK-Meisterakademie,Tel.:0261/398-415,
Fax: -990, E-Mail:
Migration hat viele
Gesichter
Das 33. und letzte Weihnachtsgespräch mit Karl-Jürgen Wilbert: Meister in spe berichten
Seit Jahrhunderten verlassen Menschen ihre
Heimat, um in der Fremde ein neues Leben zu be-
ginnen. Es gibt dafür viele Gründe: Krieg, Flucht
und Vertreibung. Oder der Wunsch nach besserer
Bildung und der Blick über den Tel-
lerrand hinaus. Migration hat viele
Gesichter. Und viele Geschichten.
Ackermann. „Da hatte ich es schon
geschafft. Früher fühlte ich mich wie
zwischen zwei Stühlen. Heute fühle
ich mich als Deutscher. Meine Ar-
beit in der Mudersbach
GmbH in Friedewald
(AK) gefällt mir gut.“
„Haben Sie als junger
Mensch wegen
der Diskrimi-
nierung geweint?“,
möchteWilbertwissen.
„Nein, bei uns hieß
es:Männerweinen
nicht“, antwortet
Viktor Salzseiler.
Aivars Gravis berichtet,
dass er durch seine deut-
sche Brieffreundin sein Faible für die
deutsche Sprache entdeckt hat. „Ich
habemich intensivdamit beschäftigt,
sogar Gedichte geschrieben“, so der
Elektrotechniker. In Lettland hat er
eine Ausbildung zum Ingenieur für
Telekommunikation abgeschlossen.
Nach Deutschland zog ihn die Lie-
be, aus der Brieffreundschaft wurde
mehr. Heute arbeitet er inderDr. Noll
GmbHMess- und Prüftechnik inBad
Kreuznach. „Gab es Probleme mit
der beruflichen Anerkennung?“, in-
teressiert sich Heinz Ackermann. „In
Lettland gibt es keine duale Bildung.
Deshalb musste ich drei praktische
Anerkennungsjahre machen.“ Jetzt
hatfürihndieZweisprachigkeitgroße
Vorteile. „Ich führe die Korrespon-
denz mit russischen Kunden“, sagt
er. „Schreiben Sie noch Gedichte?“,
fragt Wilbert. „Nein, dazu fehlt die
Zeit.“ „Sie sollten es tun, es ist gut
für die Seele“, ermutigt Wilbert.
Tahir Ramadani hat die Familientra-
dition fortgesetzt und ist Maler und
Lackierergeworden.„InDeutschland
habe ich dieGrund- undHauptschule
besucht und ich bin frühzeitig in die
Freiwillige Feuerwehr in Cochem
gegangen. InDeutschland ist einVer-
ein der besteWeg, Menschen kennen
zu lernen“, ist der in Bosanski Novi,
Bosnien, Geborene
überzeugt. „Die Mit-
glied-
s c h a f t
scheitert
oft an finanziellen Dingen“, werfen
die anderen ein. „Die Eltern der
Migranten können es ihren Kindern
oft nicht ermöglichen.“ Viktor Salz-
seiler weiß aber, dass „Ausländer
oft Kampfsport betreiben“. Ob die
KriminalisierungunterjungenLeuten
mitMigrationshintergrundgrößersei,
erkundigt sich Wilbert. „Nein, aber
ich beobachte eine Gettoisierung.
Ein Stadtteil bei uns wird bereits
‚Klein-Moskau’ genannt. Russische
Sprache, russische Geschäfte, das ist
nicht gut für unsere Gesellschaft. Die
unterschiedlichen Kulturen müssen
gegenseitigprofitieren“,soSalzseiler.
„Das lässt sich nur schwer steuern“,
kommentiert Ackermann.
Meisterbrief sichert Zukunft
„In Deutschland ist mein Zuhause“,
betont Boris Jurisic aus Montabaur.
„Meine Lehre als Kfz-Mechaniker
hat mir großen Spaß
gemacht. Jetzt arbeite
ich imAutohausReusch
in Montabaur.
Vo r u r t e i l e
oder negati-
ve Einstellungen
gegenüber Auslän-
dernscheinteseher
bei Menschen
zu geben, die
nicht mit ihnen zusammen
arbeiten und leben.“ Junge
Menschen mit Migrations-
hintergrund seien sehr ehr-
geizig und wollten zeigen,
was sie können. Dasmeint auchMiro
Donlic. Der Elektrotechnikergeselle
arbeitet bei Elektro-Pretz inKoblenz.
„Nationalität war bei uns nie ein
Thema. Wir sind alle ein Team“,
sagt er. Ein „deutsches Gefühl“ trotz
fremdem Pass hat auch der türkische
Straßenbauer Tanju Tikiz aus Neu-
häusel, mit 22 Jahren der Jüngste der
Gesprächsrunde.
„Wir wollen im Rahmen unserer
Förderprogrammedafür sorgen,Aus-
bildungspotenziale in Migrationsun-
ternehmen verstärkt auszuschöpfen.
Deshalbwende ichmichbereits heute
an Sie als zukünftige Meister, Ju-
gendlichemitMigrationshintergrund
auszubilden. Wer selbst in einem
anderen Land Wurzeln geschlagen
hat, kann gut mit ihnen umgehen.
Es reicht nicht, nach Fachkräften
zu rufen und selbst nichts dafür zu
tun“, appelliert der Mitarbeiter des
Bundeswirtschaftsministeriums. Er
begrüßt die Kampagne der HwK
„HandwerkintegriertMigranten“,die
vor einem Jahr mit gleicher Zielstel-
lung gestartet ist.
Karl-JürgenWilbert fragt seineGäste
nach ihren Zukunftsplänen und ob
sie angesichts der gegenwärtigen
Krisensituation in Deutschland als
Migranten Angst um ihren Arbeits-
platz haben. Nein, der Migra-
tionshintergrund spiele für
denErhalt desArbeitsplatzes
keine Rolle. Nur die Leistung
zähle, auch Deutsche mit unzurei-
chender Bildung und schlechter
Arbeitseinstellunghättenwenig
Chancen. Alle wissen, dass der
Meisterbrief eine gute Basis auf dem
Arbeitsmarkt ist. „Das in den Meis-
terkursen vermittelte Wissen kann
einemkeiner nehmen, gleich, welche
beruflichen Zieleman anstrebt“, sind
sich die Meister von morgen sicher.
Bis auf Boris Jurisic, der als Meister
im Servicebereich des Autohauses
arbeitenmöchte,habenalledieSelbst-
ständigkeit im Blick. Aivars Gravis
möchte eventuell noch studieren. Die
Meister in spe sind optimistisch und
überzeugt, dass es beimAufbau einer
eigenen Existenz keine Rolle spielt,
woher man kommt. Ihre Lebensläufe
sind von denen Deutschstämmiger
nicht zu unterscheiden. Schule, Aus-
bildung, erste Berufserfahrung, harte
Arbeit, Erfolg und Ehrgeiz.
„Wir gehören zu Deutschland“
Wie jedes Jahr fragtWilbert,wo seine
Gäste rein gefühlsmäßig ihre Heimat
sehen und was Weihnachten für sie
und ihre Familien ist, vor allemdann,
wenn sie nicht aus einer christlichen
Kulturwelt kommen. Er fragt lachend
nach, was Boris Jurisic macht, dass
der Braten nicht trocken wird, als
dieser erzählt, dass er traditionell Pute
zu Weihnachten zubereitet. „Wir
gehören zu Deutsch-
land“, so das Fazit der
angehenden Meister mit
fremdem Pass. So
kennen die
M o s l e m s
unter Wilberts
Gästen die deutsche
Kultur und wissen
um die Bedeu-
tung des Weih-
nachtsfestesfürdieChristen.
„Sichmit derKultur vertraut
zu machen, fördert die Inte-
gration“, wissen sie. „Meine
Eltern möchten als Rentner
wieder zurück nach Bosnien. Meine
Frau ist Landsmännin, die ich in
Deutschlandkennengelernthabe.Wir
bleibenhier“, betont TahirRamadani.
„NachSplit ansMeer,wo ichgeboren
bin, fahre ich nur im Urlaub“, sagt
auch Miro Donlic.
Wilberts Gäste gehen freundlich
auseinander.Allesindüberzeugt,dass
Gespräche dieser Art die Integration
fördern. Es war für den Hauptge-
schäftsführer der HwK Koblenz
weit mehr als eine dienstliche An-
gelegenheit, als er vor 33 Jahren
den Austausch mit ausländischen
Meisterschülern ins Leben rief. Er
hatte immer sehr viel Verständnis
für ihre Sorgen und geholfen, wenn
es erforderlichwar. EinStückgelebte
Toleranz!
Seit nunmehr 33 Jahren trifft
sich HwK-Hauptgeschäfts-
führer Dr. h. c. mult. Karl-Jürgen
Wilbert mit jungen Menschen mit
Migrationshintergrund, die sich
bei der HwK auf ihre Meister-
prüfung vorbereiten. Sie haben
im Handwerk ihre berufliche Heimat
gefunden und fühlen sich wohl in
Deutschland. In diesem Jahr ist es für
den Hauptgeschäftsführer der Kammer
ein ganz besonderes Zusammentreffen. Es ist das
letzte Mal, dass er sich in seinem Amt mit jungen
AusländernunterhältundmitihnenüberihreSorgen,
ihre Wünsche und Zukunftsvorstellungen spricht.
„Faire Chancen für alle“, ist sein Leitsatz. In ver-
schiedenen Projekten hat er sich jahrzehntelangmit
persönlichemEngagementeingesetztundimIn-und
Auslanderfolgreichagiert. Bei aller Professionalität
hört er dabei auf die Stimme des Herzens. Denn In-
tegration heißt Grenzen in denKöpfen überwinden.
Toleranz muss „von innen“ kommen.
Menschen und Geschichten
„IchbinSpätaussiedler ausKasachstan.AmAnfang
war vor allem die deutsche Sprache schwer. Als
ich vor 20 Jahren nach Gummersbach kam, lebten
dort schon sehr viele Russlanddeutsche. Dass nur
Russisch gesprochen wurde, hat die Situation nicht
vereinfacht“, erzählt Viktor Salzseiler. „Ich musste
kämpfen, auch gegen Beschimpfungen. In Kasach-
stan war ich der Deutsche, hier der Russe“, sagt
er. „Wie lief es in der Ausbildung?“, fragt Heinz
am 10. Januar 09 in Vollzeit (di-sa, 8-16.45 Uhr) und in Koblenz
am 5.September 09 in Teilzeit (fr & sa, 8-17 Uhr).
Elektrotechniker
Aivars Gravis
Elektrotechniker
Miro Donlic
Maler und
Lackierer Tahir
Ramadani
1 3,4,5,6,7,8,9,10,11,12,...16
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