Handwerk im Frühjahr vom 15. März 2000 - page 9

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Ein Leben lang „pflegen“ manche
seiner Kunden ihre Träume, hoffen
auf die Realität, irgendwann. Dann
kommt der große Tag: Mit Genuss
hinsetzen, minutenlang den Leder-
geruch inhalieren, mit der Hand
über die verchromten Armaturen
streicheln, den Zündschlüssel dre-
hen. Der 8-Zylinder lässt den restau-
riertenWagen vibrieren. Gänsehaut.
Ein Traum rollt los.
Momente, die der stolze Besitzer nie-
mals vergisst. Hans-JoachimKarbach,
seit 1986 Karosserie- und Fahrzeug-
bauermeister aus Koblenz, macht die-
se Träume wahr. Er restauriert Klassi-
ker – ob Jaguar, VW Käfer, Fiat oder
Ausfahrt & Kaffeekränzchen
im Traumwagen: Konditorin
Christine Luy aus Cochem
und Karosserie- und
Fahrzeugbauermeister Hans-
Joachim Karbach aus Ko-
blenz in einem „Morgan Plus
8“. Seit 1938 wird der Wagen
in England gebaut - heute
(fast) immer noch so wie seit
über 60 Jahren: 100 Prozent
Handarbeit. DieWartezeiten
für einen Neuwagen liegen
über sechs Jahre, die Kosten
über 100.000 Mark. Karbach
sorgt mit seiner Arbeit dafür,
dass auch die ersten Morgans
eine Zukunft haben, Christine
Luy, dass die Fahrer ein loh-
nenswertes Ziel mit gutem
Kaffee und einem erstklassi-
gen Stück „handgefertigten“
Kuchen oder Torte haben.
MG, Wartburg oder seine Lieblings-
marke „Rover Vitesse“. Wagen aus 80
JahrenAutomobilgeschichte kommen
in seine Horchheimer Werkstatt – oft
mit stumpfem Lack, durchgesessenen
Polstern, verrosteten Blechen, kranken
Motoren. Handwerksmeister Karbach
pflegt diese Patienten dann gesund,
zerlegt dieWagen in ihre „oft mehr als
1000 Einzelteile“, fertigt neue Bleche
an, schneidert feinstes Leder zu neuen
Sitzen, organisiert auf internationalen
Märkten orginalgetreue Ersatzteile.
„Manchmal kommen mehr als 1000
Arbeitsstunden zusammen, bevor der
Oldie seine zweite Geburtsstunde er-
lebt.“ Doch das, was Hans-Joachim
Karbach dann in die sorgsamen Hän-
de seiner Kunden entlässt, ist ein Wa-
gen, wie ihn der Besitzer selbst noch
nie erleben konnte. „Neuzustand“ sei
ein üblichesVokabular, und „einmalig
schön“.
Aus ganz Deutschland kommen seine
Aufträge, bringen Maseratis, Ferraris
oder MG Minis nach Koblenz. Das
teuerste, was er je unter seine Hände
bekam, war ein Mercedes SL Flügel-
türer,Wert 1,2Mio. Mark. Der schöns-
te Wagen aber, sagt er, sei ein VW
Käfer Cabrio gewesen. „Den habe ich
komplett auseinandergenommen und
perfekt wieder aufgebaut.“
EigeneWertvorstellungen, die er auch
seinen Kunden vermitteln will: „Ich
freue mich auch über kleinere Aufträ-
ge anWagen, die eher normal erschei-
nen. Nicht nur ein Rolls Royce Phan-
tom II ist bei mir willkommen, son-
dern auch eine Ente.“ Ein solches
Phantom im Entenland ist auch ein
„alter Franzose“, der zur Zeit Werk-
statt-Gast ist: einAmilca Baujahr 1922
aus erster Hand, der nach fast 80 Jah-
ren wieder in der automobilen Wirk-
lichkeit mitrollen soll. Dank Hand-
werksmeister Karbach wird der Rent-
ner nicht in Pension gehen...
Wenn es auf den Rennstrecken
rund geht, fiebert er mit „seiner“
Marke, weniger mit dem fahrenden
Aushängeschild „Schumi“. Die
Sportwagen sind es, die den 22-
jährigen Sascha Nett aus Urmitz
faszinieren.
Als sich die Möglichkeit bot, in der
Ferrari-Werkstatt von Zender in Mül-
heim-Kärlich in die Lehre zu gehen,
griff er nachAbitur und Zivildienst zu.
Jetzt, nach zwei Lehrjahren, beginnt
er, sich auf die Gesellenprüfung vor-
zubereiten: seine schulische Laufbahn
und die erbrachten Leistungen erlau-
ben die Lehrzeitverkürzung.
Mit Werkstattleiter Bernd Kölsch ist
sich Sascha einig, dass bei den Flitzern
mit dem Pferdchen viel mehr repariert
wird als bei anderenMarken, auch und
gerade an Motor und Getriebe: Dieses
Herzstück liegt im Wert schon höher,
Jedem Lehrling seinen Ferrari: Ein Ausbildungstag in der Sportwagenwerkstatt
als ein Neuwagen nebenan kostet. „Wir
bilden uns Spezialisten heran“, betont
Kölsch, „die Spaß am Beruf, an der
handwerklichen Arbeit mitbringen
müssen.“
Deshalb ist für ihn jemand fehl am
Platz, der nur wegen des klangvollen
Namens in seine Werkstatt kommen
möchte, bei einer anderen Marke aber
nie anfangen würde. Um das heraus zu
finden, legt er auch mehr Wert auf ein
Praktikum vor der Lehre als auf die
Noten in den Zeugnissen. Gerade in
einem kleinen Team – außer Kölsch
und Nett gehören zwei Gesellen dazu
– muss ja auch die „Chemie“ stimmen.
Einmal einen Ferrari selbst fahren ...
Bernd Kölsch hat auch Sascha Nett
schon einmal ans Steuer gelassen,
nimmt sonst gelegentlich einen aus
seiner Mannschaft zur Probefahrt mit:
„Das ist hilfreich für das Verständnis
notwendiger Reparaturarbeiten und für
die Sensibilität im Umgang mit den
Kunden.“
Saschas Traumauto ist der F355 GTS
- und seine beruflichen Träume und
Pläne: „Ich will Fahrzeugtechnik stu-
dieren und später am liebsten mal in
der Motorenentwicklung einer
Sportwagenschmiede arbeiten. Neue
Energie- und Antriebstechniken wie
Brennstoffzellen oder Wasserstoff er-
öffnen sicher noch viele Arbeitsmög-
lichkeiten. EineAusbildung zumKfz-
Techniker ist dafür eine ideale Grund-
lage, auf die ich nicht verzichten woll-
te.“
Sascha Nett aus
Urmitz (Bild
unten) arbeitet
täglich am und
mit dem Traum
anderer: Der
22jährige ist
Kfz-Techniker-
lehrling für die
„Hausmarke“
Ferrari bei
Zender in Mül-
heim-Kärlich.
Traumjob im
Traumwagen
Hier werden
Lehrlinge ge-
sucht, die mit dem ersten Aus-
bildungstag auch an „Traumwa-
gen“ vergangener Tage mitarbei-
ten werden: Das Handwerksunter-
nehmen
Heymann
(Tel.: 06772-
9377-0) bildet seit Jahren regel-
mäßig aus, für das kommende
Lehrjahr werden
sieben Lehrlinge
in Nastätten und Geisig im
Rhein-Lahn-Kreis gesucht
(1
Karosserie- und Fahrzeugbauer, 2
Fahrzeuglackierer, 2 Maler und
Lackierer, 2 Schilder- und Licht-
reklamehersteller, 2 kaufm. Lehr-
stellen). Nicht nur Ausbildung hat
hier Tradition, auch die Restaurie-
rung alter Wagen. Gerade hat
Handwerksmeister Heinz Hey-
mann die Verjüngungskur eines
Austin, Baujahr 1934, erfolgreich
beendet, „der nächste Oldtimer
wartet bereits, ein Chevrolet“.
Nachgeragt bei...
Siegfried Müller,
Vorstandsmitglied
der Kfz-Lackiererinnung Rhein-
land-Pfalz, aus Montabaur:
Welche Spuren hinterlässt der
Winter imAutolack?
Straßensalze greifen den Lack an,
machen ihn stumpf. Das ist ein
Problem. Häufiger sind jedoch
Schäden durch Verkehrsunfälle.
Bei der Beseitigung solcher Schä-
den empfehle ich den Kunden, zu
warten, bis auf Streusalz verzichtet
wird. Der Grund: Kommen Salze
auf frischlackierte Fahrzeugflä-
chen, „ätzen“ sich diese ein.
Lässt sich stumpfer Lack mit Poli-
tur aus eigener Kraft beseitigen?
Kurzfristig ja, doch aufgrund von
Witterung, Temperatur und Bear-
beitungsmöglichkeiten des „Lai-
en“ ist der Glanz schnell wieder
weg. Solche Enttäuschung endet
oft bei uns in den Fachwerkstätten,
denn hier kann professionell in
vier Arbeitsgängen poliert werden:
Vorarbeit mit Teerentferner, Vor-
reiniger, der „Hauptgang“ mit
Politur und Hartwachs.
„Zu Cond im Gartenschatten eines alten, vornehmenWinzerhauses oder in
der Dichterklause der Brixiade muss man sitzen, den glückseligen Einund-
zwanziger im Pokal. Dann hat man Cochem in ganzer behaglicher Breite
vor Augen, Moselfront, Martinskirche und Kapuzinerkloster, drüben das
Peterskirchlein malerisch am Berg und über allem das Schloss, strahlend,
neuerstanden...“. So schwärmte einst Ludwig Mathar vom mosel-
romantischen Cochem und seiner Burg.
Für alle, die mehr erfahren
möchten über die Stadt
Cochem hat „Handwerk im
Frühjahr“ am
1. April
ein
ganz besonderes Angebot:
einen
Stadtgang mit orts-
kundiger Führung
und
anschließend
Kaffee und
Kuchen im Café von Chri-
stine und Rainer Luy.
Und
das alles für nur 10 Mark pro
Person!
Die Stadtführung beginnt um
14.30 Uhr beimVerkehrs-
amt, Endertplatz 1, Parkplät-
ze sind in der Nähe am
Moselufer.
Anmeldungen
bis zum 30. März
beim
Verkehrsamt in Cochem
unter der
Tel. Nr. 02671 /
600 40
bzw. 60055, Fax
600444. Wer daraus gleich
ein schönes Wochenende
machen möchte: die „Villa
Tummelchen“ stellt sich
auch im Internet vor:
Sitzen und in Historie und Landschaft
schwelgen ließe sich auch vorzüglich
auf dem Balkon der Pension “Villa
Tummelchen” (benannt nach einem
Turm der alten Stadtbefestigung), hoch
droben über der Mosel in der
Schlossstraße vor einem Jahr von
Rainhard und Christine Luy eingerich-
tet, zweites Standbein neben Café und
Konditorei, die das Ehepaar - er Kon-
ditormeister, sie gelernte Konditorin -
seit zehn Jahren in der Cochemer Ober-
bachstraße Nr. 26 führen, inmitten ver-
winkelter Gässchen und alter Fach-
werkhäuser.
Das Gebäude liegt ein kleines Stück
vom Marktplatz und damit von den
allertouristischsten Metern der Stadt
entfernt. Das Ehepaar Luy sieht’s mit
einem lachenden und einem weinen-
denAuge. Mit einem weinenden, weil
so nicht die Laufkundschaft in Mas-
sen vorbei- und hereinströmt, mit ei-
nem lachenden, weil die Behaglichkeit
und mehr Ruhe schätzenden Stamm-
kunden desto lieber kommen. „Nach
manchen unserer Gäste kann man fast
die Uhr stellen, so pünktlich sind sie
morgens zum zweiten Frühstück oder
nachmittags zur Kaffeezeit bei uns,“
kommentiert Christine Luy mit Stolz.
Dass sie viele dieser Stammgäste
schon mit Namen begrüßen kann, be-
vor sie sie mit Leckerem aus der Back-
stube verwöhnt, beispielsweise mit der
bereits im März ein bisschen nach
Sommer und Sonne schmeckenden,
fruchtig-frischen Waldbeertorte, em-
pfindet sie als angenehm. „Natürlich
wäre es trotzdem gut, wenn sich zu-
künftig noch mehr Besucher dazu ent-
schließen könnten, nicht nur für ein
paar Stunden, sondern für einige Tage
oder gar Wochen nach Cochem zu
kommen.“
Die alte Stadt, im Jahr 866 in einer
Urkunde der Abtei Prüm erstmals er-
wähnt, unterstützt diesen Wunsch mit
einem breitgefächerten Angebot. Da
gibt’s nicht allein interessante Ge-
schichte, liebliche Landschaft, schöne
alte Gassen und köstlichen Wein satt,
sondern auch, speziell für alle großen
und kleinen Wasserratten, das „Frei-
zeitzentrum Cochem“. Oder, beson-
ders bunt und abwechslungsreich in
diesem Jahr, zum Geburtstag der vor
1000 Jahren erbauten, im 17. Jahrhun-
dert von den Franzosen zerstörten und
im 19. Jahrhundert nach alten Plänen
wieder errichteten Reichsburg, einen
Veranstaltungsreigen von Burgfest bis
Burgschauspiel.
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