Handwerk Special Nr. 143 vom 2. Oktober 2010 - page 15

Innovatives Handwerk mit Trockendock im Mittelgebirge
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Nr. 143
2. Oktober 2010
Rätselhaft
... über die Staumauer
Kommt ein
80 Tonnen
schweres
Schiff an einem
Staudamm an,
vor sich eine
40 Meter hohe
Staumauer.
Es gibt keine Schleuse,
keinen Aufzug, keine
Straße und auch keinen
Schwertransporter.Aber
einenKran.DerhebtLas­
ten maximal 60 Meter
hoch, schafft aber „nur“
50 Tonnen. Wie kommt
das Schiff nach oben?
GünterMüllerweiß es, denn er hat diesesRätsel selbst gelöst:Man
schweiße das Schiff in der Mitte auseinander, hebe beide (dann
40 Tonnen schweren) Hälften einzeln mit dem 50-Tonnen-Kran
über die Staumauer, schweiße sie dannwieder zusammen – fertig.
Handwerklich zwar etwas aufwändiger als eine Schleusenfahrt,
aber mit den richtigen Fachleuten durchaus machbar.
Schiff voraus in der Eifel
Dass auf der Nordschleife
des Nürburgringes nam-
hafte Sportwagenbauer
ihre schnellen Gefährte
testen, ist bekannt. Auch
Motorräder oder Wohn-
mobile werden hier auf
Herz und Nieren geprüft.
Doch tauchen rund um
den Nürburgring die Auf-
bauten einer Fähre auf,
darf gezweifelt werden –
am eigenen Verstand oder
an dem, der da ein ausge-
wachsenes Schiff durch
die Eifel tuckern lässt.
Wer dort eine Schiffsproduk­
tion aufbaut, könnte auch eine
Fischzucht in der Wüste be­
treiben. Beides klingt unsinnig
und ein wenig verrückt, denn es
scheitert am Medium Wasser.
Doch Maschinenbauermeister
Günter Müller aus Kempenich
ist weder verrückt noch denkt
er unsinnig. Eher ist er ein
ruhiger, umgänglicher, grund­
solider Unternehmer – und ein
erfolgreicher dazu. Seine Vita:
1962 geboren, zum Stahlbauer
ausgebildet. 1986 Meisterbrief.
1990 die Gründung eines Ein-
Mann-Betriebes. Durchdachter,
eher defensiver Ausbau. 1996:
Die Einstellung des ersten Mit­
arbeiters und die Suche nach
einemneuenStandort. Dennnun
beginnt die Expansion und eine
ungewöhnliche Erfolgsstory.
„Stapellauf“
in der Garage
Dinge, die aus Stahl sind und
schwimmen können, haben
es Günter Müller, geboren in
Ahrweiler, angetan. Auf einer
Günter Müller liebt Objekte aus Stahl, die schwimmen können
Werft in Remagen wird er
ausgebildet. Schiffsneu- und
-umbauten gehören zum Alltag,
wie auch der Bau von Pontons
und Anlegestegen. Nach der
Meisterprüfung arbeitet er auf
dieser Werft zwar in leitender
Stellung, doch beruflich denkt
Müller weiter. In seinem dama­
ligenWohnort Oberzissen grün­
det er einen Stahlbaubetrieb – in
derGarage.Den schwimmenden
Objekten bleibt er treu – und hat
ab sofort ein Problem. Denn in
Oberzissen entspringt zwar eine
Mineralquelle. Deren Wasser
reicht aber nicht aus, umschwere
Autofähren oder Anlegestege
schwimmend in Bewegung zu
setzen. Stapelläufe inderGarage
enden zwangsläufig auf dem
Anhänger.
1996 verwirklicht sich Müller
dann einenTraum.Noch tiefer in
der Eifel baut er den neuen Fir­
mensitzimGewerbegebietSpes­
sart bei Kempenich auf. Nun ist
der
Nü r ­
burgring
„um die Ecke“,
nicht aber der Rhein. Doch die
Entwicklung des Schiffbaube­
reiches gibt ihm Recht, heute
arbeiten 30 Mitarbeiter für ihn.
Müllers Produkte sind weltweit
im Einsatz, momentan beson­
ders in Afrika. „Das haben wir
unserem Partner, der Schottel-
Werft in Rhens zu verdanken“,
stellt Müller klar. Schottel pro­
duziert Welle und Schraube der
Schiffsantriebe und liefert diese
nach Kempenich. Dort werden
die ebenfalls angelieferten
Schiffsdiesel mit dem Antrieb
verbunden. Das übernehmen die
Spezialisten von Günter Mül­
ler, darunter Maschinenbauer,
Elektriker,Maler undLackierer,
Metallbauer, Schweißfachleute
und Schiffsbauer. Ein Eldorado
handwerklicher Vielfalt, in dem
voll funktionsfähige Schiffs­
antriebe mit bis zu 1.000 kW
entstehen–dieLeistungvonrund
zehn Mittelklasse-Pkw!
Teststrecke für
Schiffsantriebe
Zum Testen geht es für diese
Kraftprotze nicht auf die Nord­
schleife,sondernaufdeneigenen
Prüfstand – einen Riesenpool,
fünf Meter tief und mit 140.000
Liter
Wasser
befüllt, um­
geben von 480 Ton­
nen Beton ... damit bei Volllast
derMotorenallesanseinemPlatz
bleibt und das Wasserbecken
nicht in eine Richtung davon
marschiert, der Motor in die an­
dere ... Doch nicht nur Antriebe
bauen die Schiffsbauer.
Auch ganze Autofähren werden
indenEifelbergengefertigt.Und
gehen dann als Schwertransport
über die Straße. „Ein Transport
wiegt bis zu 100 Tonnen und ist
60 Meter lang“, erzählt Müller,
der zwei weitere Standorte am
Wasser in Remagen und Bingen
betreibt. Auch Schiffsanleger
werden in den Kempenicher
Hallen vorgefertigt und gehen
dannStück für Stück zumRhein,
wosiezusammengebautwerden.
Zwei davon sorgen am Koblen­
zerBUGA-Ufer für den sicheren
Aus- und Aufstieg. Selbst in die
Schweiz haben die Stahlbauer
aus der Eifel ihre Bootsanlieger
schon „verschifft“ – über die
Straße. Alles ist möglich – das
ist gelebter Handwerkeralltag.
Bisher hat alles eine Handbreit
Wasser unter den Kiel bekom­
men, was im Schatten der Nür­
burg gebaut wurde.
Nimm deine Zukunft in die Hand. In einem von 151 Handwerksberufen.
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04.08.2010 10:05:09Uhr
Steckbrief: Stahlbau Müller, Kempenich
Gegr. 1990 | 30 Mitarb. (1 Meister, 5 Lehrlinge) | Schiffe u. Anle­
ger, Schiffsantriebe | Tel.: 02655/ 1395 |
Dem
Rück-
stoß
aus der
Motor-
leistung
von
mehr als
1.000
kW
muss die
„Test-
strecke“
standhal-
ten.
Günter Müller (Mitte) und
sein Team haben sich auf
Schiffsbau spezialisert.
Außenstel-
le Rhein-
Werft
Foto: privat
1...,4,5,6,7,8,9,10,11,12-13,14 16,17,18,19,20,21,22,23,24
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