Das deutsch-deutsche Handwerk auf dem Weg in die gemeinsame Zukunft Das Handwerksjahr 1990 ist geprägt vom Mauerfall und den Veränderungsprozessen auf dem Weg zur deutschen Einheit. Die Deutsche Demokratische Republik ist nach dem Mauerfall am 9. November 1989 im Umbruch, was auchdieWirtschaft vor starkeHerausforderungen stellt. Das DDR-Handwerk unter staatlicher Direktive ist Geschichte. Immerhin gibt es 81.000 private Handwerksbetriebe mit 14.000 Lehrlingen und 262.000 Beschäftigten, die 59 Prozent des Handwerksumsatzes in der DDR erwirtschaften. Mit Blick auf das DDR-Gesamthandwerk gibt es außerdem die staatlich organisierten, handwerklichen Produktionsgenossenschaftenmit 2.700 Betrieben, 11.000 Lehrlingen und 166.000 Beschäftigten, auf die 41 Prozent des Gesamtumsatzes fallen.DasDDR-Handwerk ist 1990alsomehrheitlich in privater Hand – eine gute Ausgangslage. Gerade mit diesen Betrieben entwickelt sich zügig und lange vor der Wiedervereinigung am 3. Oktober ein enger Schulterschluss zwischen dem Ost- und Westhandwerk. Mit der Einrichtung einer DDR-Beratungsstelle für Handwerksbetriebe reagiert die HwKKoblenz zügig auf die neue Lage. Und auch in der DDR ist die Koblenzer Kammer aktiv. Die Leipziger Frühjahrsmesse im März 1990 bietet dem „West-Handwerk“ vom Mittelrhein eine Bühne, die begeistert. Eine Woche vor den ersten freien Wahlen in Ostdeutschland präsentieren lebende Werkstätten und Info-Stände auf dem Leipziger Sachsenplatz die ganze handwerkliche Bandbreite – vom Amboss bis zum Computer. Am Stand der Bäcker gibt es „Kowelenzer Kräppel“ – und eine Menschenschlange Wartender von 100 Metern Länge! VieleOstdeutsche planen ihreZukunftwestwärts derDDR– wovondasHandwerk imKammerbezirkdurchaus profitiert. 10.000 Fachkräfte aus Ostdeutschland wurden seit dem Mauerfall inHandwerksbetriebenneueingestellt –das ergibt eine Umfrage unter 3.400 Betriebsinhabern im April. Die attestieren der Bundespolitik, sich durch die Parteien nicht richtig vertreten zu fühlen (90 Prozent). Zusammengefasst ergibt sich aus der Abfrage: „Das Handwerk, politisch gesehen, ist kritisch, aber nicht extrem“. PolitischeRandgruppen und Extremewerden von 75 Prozent abgelehnt, „dieGrünen und die Republikaner sind nicht koalitions- und damit auch nicht regierungsfähig.“ Um die Zukunft der „provisorischen Bundeshauptstadt“ Bonn geht es bereits im Juni 1990, als sich der Landrat des Kreises Ahrweiler mit der Kammerspitze zu den Folgen eines möglichen Umzugs des Regierungssitzes nach Berlin austauscht. Die Folgen für die angrenzende Ahr-Region wären drastisch, auch für die Wirtschaft. Eine HwK-Blitzumfrage ergibt „3.000 vakante Arbeitsplätze im Handwerk, die sichaus direktenBonnerAufträgenergeben“. Frühzeitig – und durchaus vorausschauend! – bereitet man sich mit den betroffenen Landkreisen auf diesen Teil der deutschen Einheit vor. Auch der ZDH hat seinen Sitz am Regierungssitz – noch Bonn. Am 21. Juni findet im sächsischen Zwickau die Feier zur VereinigungdesdeutschenHandwerks statt –auchmitBeteiligung der Koblenzer Kammerspitze. „ZumerstenMal nach 45 Jahren spricht das geeinte deutscheHandwerkwiedermit einer Stimme“. Die neueWirtschaftsmacht tritt mit 700.000 Handwerksunternehmen, über 5MillionenMitarbeiternund 550.000 Lehrlingen an – und das mehr als drei Monate vor der deutschen Einheit. Auch die Handwerksordnung (West) wird noch vor der Einheit vom ostdeutschen Handwerk übernommen. Spannende und so nicht zu erwartende Ergebnisse liefert die Befragung unter 1.400 Jungmeistern Ende Oktober: Fast 60 Prozent planen ihre Selbstständigkeit im Ostteil des inzwischen wiedervereinten Deutschlands, bei den Dachdeckern sind es sogar 80 Prozent! Die Ex-DDR bietet offensichtlich vielmarktwirtschaftlichesPotential, handwerklicheLeistungen sind stark gefragt. Die jüngste Koblenzer Meistergeneration ist von einer deutlichen Aufbaumentalität „befallen“. 15 Jahr 1990 zweiKinder unddieBerufswahlwar völlig frei.“ Der 19-jährige Jan hat Abitur, lernt nunMetallbau imFamilienbetrieb.Wie es nach der Ausbildung weitergeht? „Seine Sache. Da reden wir nicht rein.“ Würde er den Betrieb übernehmen, hätten die Kehls weiterhin einiges zu berichten von sich und ihrer Schmiede. Den dreißigjährigen Krieg wie auch zwei Weltkriege haben sie erlebt, gute wie schlechte Jahre. Auf einem Foto ist Heikos Opa mit einem Auto zu sehen. Das Bild ist in den 1930er Jahren entstandenundHeiko erinnert sich, dass der Wagen später vergraben wurde, um ihn in Sicherheit zu bringen. Nach Kriegsende wurde das Fahrzeug dann wieder ausgebuddelt undderOpaverdiente ein paar Mark nebenbei als Taxifahrer. „Mit der Schmiede konnte man kaum Geld verdienen. Wer konnte sich solche Arbeiten leisten?AlsowurdenTaxifahrten angeboten. Und weiter ging’s.“ Und so reicht die Fahrt derKehls durch die Jahrhunderte bis zum heutigen Tag. Jede Generation amSteuer hat ihrenBeitraggeleistet – eine beeindruckende Geschichte. Eigentlichpasst sie kauminunsere heutige Zeitmit ihrerKurzlebigkeit und spontanen Moden. Und so ist sie auch eine Mutmacherstory: mit der richtigen Einstellung, engagierten Menschen und einem soliden Handwerk kann so ein Familienwerk zu einem Jahrhundertding werden. Heiko Kehl mit fünf Jahren zusammen mit seiner Mutter Haide und Vater Philipp Karl (1976; Foto oben), links die Schmiede am alten Standort in Staudernheim. Heiko Kehl mit einem Hammer- Geschenk zum 375. Firmenjubiläum 2001. Der Hammer steht bis heute im Eingangsbereich von Metallbau Kehl in Bad Sobernheim. Fotos: privat
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