Handwerk Special Nr. 243 vom 15.09.2023

Kampf gegen Label bei Upcycling-Mode Sinah Schlemmer sprudelt vor Enthusiasmus, vor Wut und vor Kreativität. Wenn sie anfängt zu erzählen, gleicht ihre Themenvielfalt dem bunten Stoffmix, der sie überall in ihren Räumen in Welschneudorf umgibt. Doch den berühmten roten Faden hat sie, wenn sie erzählt. Von Anfang an: Sinah Schlemmer ist mit ihrem Betrieb seit dem 14. Januar 2021 für das Maßschneider-Handwerk und Dekorationsnäher-Gewerbe bei der Handwerksrolle Koblenz eingetragen, seit November 2020 ist sieEinzelunternehmerin mit ihrem Studio Amaran Creative. Sie ist keine klassische Schneiderin, sondern kreative Designerin, die seit ihrer Kindheit das Talent hat, in ihrem Kopf kunstvolle Welten entstehen zu lassen. Sie entwirft ihre Schnittmuster selber, an ihrer Nähmaschine verwandelt sie unterschiedlichste Stoffe mit oft atemberaubender Geschichte zu einzigartiger Mode. Klassisches Upcycling ist das also, was da in ihren vierWänden entsteht. Stufenröcke, Jacken, Gehröcke, gerüscht, geknöpft, tailliert oder bewusst gerade gehalten. Die Vielfalt auf den Kleiderständern von Sinah Schlemmer ist faszinierend. Mittendrin fallen dann weite Oberteile auf, sehr weit, gerade geschnitten: „Don’t label me“ springt als gedruckter Schriftzug ins Auge. Für die 43-jährige Designerin sind diese Worte inzwischen zu einer Mission geworden. Sie kämpft gegen ganz unterschiedliche Label an - im Kopf und im Kleidungsstück. Zum einen will sie Mode schaffen, die nicht eindeutig zuzuordnen ist für ein bestimmtes Geschlecht oder Alter: Kleidung gegen zu enge Ansichten, was Mode darf und wer was tragen sollte. Doch neben diesem optischen „Etikettenschwindel“ kämpft Sinah Schlemmer seit ihrer Existenzgründung vor allem gegen die kleinen Labels, mit denen sie bisher in jedem ihrer Unikate nachweisen soll, aus welchen Textilfasern ihre Kleiderkunstwerke bestehen (siehe Kasten rechts). Sie bekommt fast alle ihreStoffe gespendet. Da sind ehemalige Tischdecken, Gardinen, Kleidung, die sie auftrennt und zu neuen Stoffbahnenmacht. So ist derGrundgedanke des Upcycling: Aus Alt mach neu und oft ganz anders. „Viele Kleidungsstücke, die ich gespendet bekomme, haben keine Etiketten mehr.“ Um die Textilfasern zu bestimmen, bräuchte sie ein Labor - illusorisch. Dazu kommt, dass sie den Anteil der Textilsorten inProzent angebenmuss. Sinah Schlemmer kann das höchstens, indem sie denStoff abwiegt, ausrechnet und dann von Hand Etiketten herstellt mit einem kleinen Drucksetzkasten (Foto oben). Ein enormer Aufwand, den sie als unsinnig erachtet. Also kämpft sie voller Energie dafür, dass Upcycling eine Ausnahme in der Textilkennzeichnungsverordnung bekommt.Mit ihrer Onlinekampagne „Don’t label me“ will sie Upcycling als Teil einer textilen Kreislaufwirtschaft in der EU etablieren. Sie wendet sich an Abgeordnete, Fachverbände und NGO’s, hat von der Politik bislang keine zufriedenstellende Antwort bekommen. Secondhand-Mode ist von der Kennzeichnungspflicht befreit, für Upcycling wird „bisher kein Bedarf gesehen.“ Schlemmer kämpft weiter, informiert auch via ihren Instagramkanal dontlabelme_eu. Ende 2023wird dieVerordnung überarbeitet und die Westerwälderin hofft, dass ihre Stempelkästen dann überflüssig werden. Kontakt: Studio Amaran Creative Tel. 02608/ 944 783 www. amarancreative.com Gesetz und Patchwork beißen sich Laut Textilkennzeichnungsverordnung von 2011 müssen Bestandteile von Textilerzeugnissen prozentual aufgeschlüsselt per Label nachgewiesen sein. So heißt es im §14 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr.1007/2011 des Europäischen Parlaments: „Textilerzeugnisse werden zur Angabe ihrer Faserzusammensetzung etikettiert oder gekennzeichnet, wenn sie auf dem Markt bereitgestellt werden.” Die gesetzlich vorgesehene Kennzeichnung ist für vieleUpcycling-Labels inderPraxis nicht umsetzbar. Ihre Mode besteht aus Textilabfällen und Stoffresten. Die Aufschlüsselung der Bestandteile ist oft unmöglich. Viele gespendete Altkleider haben keine Etikettenmehr oder bestehenausMischgewebe.Daher lebt Upcycling von Patchwork-Looks, die aus kleinen Stoffresten zusammengesetzt sind. Die Kreationen von Sinah Schlemmer (kleinesBild) sindein typischesBeispiel dafür. Foto: Johanna Link 11 Modedesignerin Sinah Schlemmer erweckt in ihrem Studio Amaran alte Stoffe zu neuer Modekunst. Ihre größte Hürde seit der Gründung: Die Textilkennzeichnungspflicht.

RkJQdWJsaXNoZXIy NzU4Mzk=