Handwerk Special Nr. 240 vom 22.10.2022

Zweites Leben für Industrieabfälle Bunte Lederstreifen hängen über einem Holzständer, unbehandelte Holzfurniere stapeln sich und warten darauf, verarbeitet zu werden. Ausgefräste Holzstücke mit u-förmigen Leerstellen lassen spätere Handtaschengriffe erahnen: Jedes noch so kleine Fitzelchen „Abfall“ verwandeln Karen und Michel Häcker in einzigartige Kunstwerke zumTragen. DieStart-Up-Unternehmer aus Idstein, die erstmals an der Winterausstellung der HwK Koblenz teilnehmen, verwenden Holzreste aus dem Yachtbau fürTaschenböden,Autositzstoffe werden zu edlen Rucksackrückenteilen. Material, das sonst in Premium-Friseurstühlen verarbeitet wird, avanciert zum Obermaterial der Taschen. Reste von recyceltenHandtaschengriffenverwandeln die Macher des Labels Industrierelikt in Halsketten und aus deren Reste entstehen wiederum Manschettenknöpfe. Das Künstlerpaar sprüht vor Kreativität und dem Willen, hochwertigen, ungenutzten Ausschussmaterialien der Industrie neues Leben einzuhauchen. Ihr Motto: „Unikate statt Brennstoff – Tasche statt Asche“. Mit Liebe zumDetail,Geschickund inKooperationmitmehrerenHandwerksbetrieben haben sie so eine Leidenschaft von Karen Häcker professionalisiert, die vor vielen Jahren auf Schrottplätzen begann. Als Jugendliche kletterte Karen in Autowracks, schnitt Stücke aus den Sitzbezügen und schuf daraus erste Taschen, die sie verschenkte, später auch verkaufte. Als sie Produktdesign an der Bauhaus-Universität Weimar studierte, begleitete sie das Thema der nachhaltigen Verwertung von Industrieabfällen weiter. Ebenso wie ihr Mann, Umweltwissenschaftler Michel Häcker, der ebenfalls schon immer gern „handwerkelte.“ Das Projekt, aus Industrieabfällen etwasWertiges zumachen, nahmFahrt auf, alsKarenHäcker 2014 ihreAbschlussarbeit zur „Ressource Industrieabfall“ schrieb. Vom Schrottplatz ihrer Jugend durfte sie inzwischen aus Sicherheitsgründen keine Produktabfälle mehr mitnehmen, doch das junge Paar wollte unbedingt wertvolle Ressourcen der Industrie retten und daraus Neues entwerfen: Sie schrieben die Autoindustrie an, bekamen Tipps, wo man Holzabfälle bekommt. Das Netz ihrer Lieferantenvon Industrieabfällenwuchs stetig. Mittlerweile haben sie in ihrem Atelier ein kunterbuntesSammelsuriumanMaterialien und erweitern ihre Produktpalette Stück für Stück. „Wir designten zuerst Handtaschen in verschiedenen Ausführungen. Inzwischen haben wir viele neue Ideen entwickelt“, erzählt Michel Häcker. Dass sie mittlerweile auch Schmuck herstellen, ist ein „Nebenprodukt“, weil sie auch ihre eigenen Abfälle weiternutzen wollten. Momentan verschwinden dabei die großen Werkstattmaschinen fast unterMaterialbergen: Bald beginnt die nächste Produktion derKleinserien.DannherrschtHochbetrieb in der idyllischenManufaktur. DieHäckers lieben das – wenn die fertigen Produkte schließlich vor ihnen liegen, bereit, in ihr neues Leben entlassen zu werden, ist das immer wieder erfüllend. „Es fühlt sich toll an, etwas mit eigenen Händen geschaffen zu haben – nicht einfach Taschen und Schmuck, sondern eben Unikate, die ansonsten zu Brennstoff geworden wären.“ Kontakt: Manufaktur Industrierelikt Tel. 060 82/ 46 311 56 www.industrierelikt. com Handwerk und Handarbeit vereint Zweimal pro Jahr stellt das Label Industrierelikt in Kleinserie 100 bis 170 Taschen her. Die gesamte Produktpalettewirdmit Partnern inDeutschland hergestellt: Die Häckers sortieren das Material, schneiden dieMaterialien zu. Aus großen Platten werden Taschengriffe gefräst, gebrennstempelt und geölt. Das Furnier wird zu Formholz für die Taschenböden verarbeitet – natürlich mit Maschinen zur Unterstützung. In der Manufaktur werden die Einzelteile auch geschliffen und geölt. Dann kommen die Textilien in eine Weimarer Täschnerei zum Nähen, während ein Schwarzwälder Betrieb spezielle Schritte der Holzverarbeitung übernimmt. Zuletzt führen die Häckers Textil und Holz in ihrer Manufaktur zusammen. Die Accessoires stellen sie in Handarbeit her – und fertig sind die extravagant schlichten Recyclingunikate. 19 Das Start-Up-Unternehmen Industrierelikt aus Idstein erweckt Überbleibsel aus Textilien und Holz zu neuem Leben. Ihre edel recycelten Taschen und Schmuckstücke präsentieren Karen und Michel Häcker (Foto) erstmals in der Winterausstellung der Handwerkskammer Koblenz.

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