Handwerk Special Nr. 221 vom 11.08.2018

Nachgefragt bei Kurt Krautscheid Ausbildung, Be- schäftigung, Wirt- schaftskraft: Damit verbindet sich im Handwerk unmittel- bar derMeisterbrief. Seit Jahren steigen die Zahlen der Mei- sterabsolventen bei derHandwerkskam- mer Koblenz – auch in Berufen, die ohne Meisterbrief selbst- ständig ausgeführt werden können, so im Fliesen-, Plat- ten- und Mosaikle- gerhandwerk. Beim Kunden zählt der Meisterbrief etwas. Und auch die Po- litik beurteilt die Meisterqualifikation verstärkt positiv. Herr Krautscheid, überrascht Sie das Umdenken der Regie- rungsparteien in Sachen Meisterbrief? Die sogenannte Handwerksnovelle 2004 – also Abschaffung des Meisterbriefes als Voraussetzung zum Führen eines eigenen Be- triebes in 53 von 94 Berufen – war ein großer Fehler und konnte die darin gesetzten Erwartungen nie erfüllen. Das ist keine neue Erkenntnis, sondern seit Jahren Fakt. Wenn sich Spitzenpolitiker von CDU/CSU und SPD nun einig sind, dass der Meisterbrief un- mittelbar positiven Einfluss auf dieQualität ausgeführter Arbeiten und Ausbildungsleistungen hat, sollte die Wiedereinführung ja eigentlich nur noch eine Formsache sein. Wir fordern seit Jahren eine entsprechendeÜberarbeitung, denndas damals genannteZiel, so mehr Betriebsgründungen mit mehr Beschäftigung und mehr Ausbildung zu erreichen, war von Anfang an illusorisch. Weniger Fachwissen wird wohl kaum zu mehr Qualität führen oder eine hochwertige Ausbildung Jugendlicher sicherstellen. Inzwischen ist auch bei der Politik unumstritten: Die Fachkräftesicherung – und damit die Wirtschaftskraft von morgen! – ist nur mit dem Meisterbrief möglich. Dafür haben wir jahrelang gekämpft und immer wieder an die Politik appelliert, den Fehler von damals zu korrigieren. Offensichtlich hat sich dieser Einsatz gelohnt und unsere Argumentation setzt sich zunehmend durch! Gibt es dazu konkrete Zahlen, die das belegen? Selbstverständlich. Beispielhaft nenne ich das Fliesenlegerhand- werk. Bis zur Abschaffung des Meisterbriefes gab es bundesweit 25.500Betriebe, in denen 3.000Lehrlinge ausgebildet wurden. Bis 2016 war die Betriebszahl auf 69.700 gestiegen, die Lehrlingszahl allerdings drastisch auf 2.200 gefallen. Mehr als doppelt so viele Betriebe bilden weniger aus! Viele dieser Einmannbetriebe sind dann auch nach kurzer Zeit wieder vomMarkt verschwunden, weil sie die in sie gesetzten Qualitätserwartungen der Kunden nicht erfüllen konnten. Zeitgleich haben wir festgestellt: Die Zahl der Meisterabsolventen stieg in diesem Handwerk. Hier haben also jungeHandwerker ein Stückweiter gedacht und setzen dieVorteile desMeisterbriefesalsMarketinginstrumentein,sichernsonatürlich auch ihrenFachkräftebedarf undbietendemKundenhoheQualität. Quasi eine Abstimmung mit den Füßen für den Meisterbrief! Was unternimmt das Handwerk, um den Meisterbrief wie- der zu alter Stärke zu verhelfen? Wir stehen in ständigem Dialog mit der Politik. Das Thema wurde und wird durch uns vorgetragen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hat außerdem zwei Gutachten in Auftrag gegeben, die prüfen sollen, wie sich die Wiedereinführung der Meisterpflicht verfassungsrechtlich und ökonomisch begründen lässt. Hier ziehen wir also alle an einem Strang – und mit uns immer mehr Politiker! HwK-Präsident Kurt Krautscheid. Foto: Fotostudio Reuther EU-Politik / Interview mit Präsident Krautscheid Nr. 221 11. August 2018 www.handwerk-special.de 3 Handwerk und Europa Europa rückt wieder mehr an die Wünsche der Bür- ger und Mitgliedsstaaten. Darauf weisen viele aktu- elle Entscheidungen und Informationen hin. Berufsreglementierungen sind Sache der Mitgliedsstaaten So hat die sogenannte Subsidia- ritäts-Taskforce am10. Juli ihren Abschlußbericht vorgelegt, der empfiehlt, Bereiche zu identifi- zierenunddieseAufgabenandie EU-Mitgliedsstaaten ganz oder teilweise zurück zu übertragen. Auch sollen regionaleund lokale Behörden und nationale Parla- mente besser in die Gestaltung und Umsetzung der EU-Politik eingebunden werden. Eine kon- krete Entscheidung des EU-Par- lamentes zeigt diesen Weg. In seiner Sitzung am 14. Juni 2018 hatdasPlenumdesEuropäischen Parlamentesmitüberwältigender Mehrheit von 519 Ja- zu 112 Nein-Stimmen bei acht Ent- haltungen in erster Lesung für den Richtlinienvorschlag zur Verhältnismaßigkeitsprüfung von Berufsreglementierungen gestimmt. Das, was kompliziert klingt, ist für alle Unternehmen in Deutschland positiv. Insbeson- dere für das Handwerk ist es ein großer Erfolg, wie Mark Scherhag, Vizepräsident der Handwerkskammer Koblenz im Gesprächmit HandwerkSpecial erläutert. Das Handwerk konnte sichmit seinenKernforderungen durchsetzen.DieMitgliedstaaten sindweiterhin für dieReglemen- tierung von Berufen zuständig und können entscheiden, ob und auf welchem Niveau sie einen Beruf reglementieren wollen. Dabei wird die Qualitätssiche- runghandwerklicherLeistungen ausdrücklich als Reglementie- rungsgrund anerkannt. „Man kann der EU damit Stück für Stück ein besseres Zeugnis aussprechen“, so Vizepräsident Scherhag. War es viele Jahre eine beobachtbare Entwicklung Europa aus einem Guss zu pro- duzieren, so ist auch aufgrund der massiven, zunehmenden Kritik aus den Ländern und den Regionen eine Verhaltensän- derung auf EU-Ebene endlich erkennbar. Die ersten Früchte trägt diese Entwicklung offen- sichtlich auch auf Bundesebene. Denn der Meisterbrief steht für die Berufe, für die er von Rot- Grün abgeschafft wurde, vor einer Neueinführung durch die aktuelle Bundesregierung. Die Handwerkskammer Ko- blenz arbeitet im Haupt- und imEhrenamt nicht nur regional, sondern gemeinsam mit dem Mark Scherhag setzt sich seit vielen Jahren auf EU-Ebene für die Interessen der Handwerker aus unserer Region ein, im Bild während einer Rede zur Bedeutung der Ausbildung als Investment in die Zukunft. Scherhag hat sich über die Region hinaus einen erstklassigen Ruf als überzeugter Europäer erarbeitet. Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) auf euro- päischer Ebene in Brüssel eng mit den EU-Organisationen zu- sammen. So ist das Europäische Parlament für Unternehmen für die Handwerkskammer Koblenz ein wichtiges Gre- mium, um Forderungen des Handwerks zu formulieren. Es tagt regelmäßig. In den letzten vier Jahren hat MarkScherhagalsVizepräsident die Interessenvertretung für die Handwerker in der Region übernommen. Der 52-jährige Kfz-Mechanikermeister und Diplom-Kaufmann gilt als er- fahrenerVertreterderWirtschaft und als überzeugter Europäer, aberauchalsregionalengagierter Mensch. Er ist im Kfz-Handwerk und in der Kammer seit vielen Jahren fürdieInteressendesHandwerks ehrenamtlich tätig. Der europäische Gedanke steht aus Sicht Scherhags vor einem Reformprozess, der bereits län- ger läuft. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten eine Gemein- schaft, in der sie mitgenommen werden. Eine Gemeinschaft, die die Probleme anpackt und bewältigt und die wieder näher an die Bevölkerung rückt. Foto: privat

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