Handwerk Special 112 vom 03.06.2006


Gegen das Vergessen

David Salz - Der Elektriker 107 939

Das Holocaust-Mahnmal in Berlin neben dem Brandenburger Tor ist ein Jahr alt. Mehr als 3,5 Millionen Besucher haben das wellenförmige Stelenfeld bisher besucht. Das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas ist zum Ort der Begegnung geworden, ein Ort zum Nachdenken. Menschen, die über eigene Erfahrungen aus der Nazizeit berichten können, werden immer seltener und älter. David Salz, 1929 in Berlin geborener Jude, der heute in Tel Aviv lebt, hat als Einziger seiner Familie den Holocaust überlebt.

Foto: David Salz überlebte den Holocaust, weil er sich als Elektriker ausgab.
David Salz überlebte den Holocaust, weil er sich als Elektriker ausgab.
Foto: Der junge David Salz kurz vor seiner Deportierung.
Der junge David Salz kurz vor seiner Deportierung.

„Sechs Millionen Juden hat man ermordet“, sagt David Salz. „Wenn man heute nicht daran erinnert, tötet man sie ein zweites Mal.“ Seit anderthalb Jahrzehnten berichtet er deshalb vor allem vor Schülern, was ihm vor 65 Jahren in Auschwitz, auf dem Todesmarsch nach Gleiwitz und später in Nordhausen widerfahren ist.

Erinnerung wach halten

Er spricht dann auch davon, dass es der Beruf des Elektrikers war, dem er sein Leben verdankt. Er versichert, dass er 1942 als 13-Jähriger vor Doktor Mengele (schwarzer Ledermantel, weiße Glacéhandschuhe, stechender Blick) gestanden und behauptet hat, er sei 17 und von Beruf Elektriker. So kam er statt in die Gaskammer in ein Arbeitskommando. „Wenn ich das Lager überlebe, lerne ich diesen Beruf“, das hat er sich in diesem Moment geschworen, hat es realisiert und bis zur Pensionierung als Elektriker im Elektrizitätswerk in Tel Aviv gearbeitet und dabei zahlreiche junge Menschen ausgebildet.

David Salz ist nach Potsdam gekommen, um die Uraufführung des Theaterstückes „David Salz“ zu sehen. Es ist eine szenische Collage nach einer Idee von Lea Rosch, die David Salz an die Stätten seiner Vergangenheit begleitet hat, entstanden zum 1. Jahrestag der Eröffnung des Denkmals in Berlin. Wir treffen David Salz, als er Freunde in der Nähe von Bad Breisig besucht. Sein persönlicher Bericht über Verhör und Selektion, Qualen im Arbeitslager und den Todesmarsch, über Misshandlung, Flucht und Kampf ums Überleben geht tief unter die Haut. Mit bewegter Stimme erzählt David Salz die Tragödie seines Lebens. „Es gibt keine Nacht, wo ich sagen kann, ich habe durchgeschlafen. Das Lager hat mich nie verlassen.“

Erschreckende Aktualität

Unwillkürlich denkt man an den aktuellen Fall Ermyas in Potsdam, einen Farbigen, den Jugendliche zusammenschlugen, an Berichte, nach denen das Holocaust-Mahnmal in Berlin und Synagogen von Sicherheitskräften bewacht werden müssen. Haben wir es als Gesellschaft nicht geschafft, die Leute zu verbinden und ein neues Miteinander entstehen zu lassen? Ist Leben von Menschen mit anderer Hautfarbe und anderem Glauben noch nicht normal in Deutschland und anderswo?

Und wieder sind wir bei David Salz. Gerade sieben Jahre war er, als sein Vater von der Gestapo verhaftet und später erschossen wurde. Auf der Suche nach der Mutter, die in das Konzentrationslager Auschwitz verschleppt wurde, stellt sich der inzwischen 13-Jährige der Gestapo und kommt auch nach Auschwitz. Er übersteht es und auch das Lager im Schreckensstollen von Dora II Nordhausen, aus dem er fliehen kann. Schließlich gelangt er durch die Hilfe eines jüdischen sowjetischen Offiziers als 16-Jähriger wieder nach Berlin.

Schalom - Friede in der Welt

Später geht er nach Israel, dort erlernt er auch das Elektrikerhandwerk. „Ich habe Ehrgeiz entwickelt. Wer in seinem Beruf vorankommen möchte, muss sich mühen und ständig fortbilden“, appelliert er an die jungen Leute. „Im Elektrizitätswerk von Tel Aviv haben nur gute Fachleute ihre Chance“, weiß er.

Das Gespräch mit David Salz ist eine Begegnung mit großer emotionaler Wirkung, die lange nachhallt. „Meine Nummer 107 939 (trotz Altersflecken auf dem linken Unterarm immer noch deutlich erkennbar) nehme ich mit ins Grab“, sagt er, ohne Wunden aufreißen zu wollen. Und er sagt: „Schalom, Friede in der Welt.“