Handwerk Special 107 vom 15.10.2005


Ein Leben für die Kunst

Gisela Schmidt-Reuther feiert 90. Geburtstag

Gisela Schmidt-Reuther: Tägliche Arbeit im Atelier bescheren der fast 90-Jährigen eine kreative Unruhe.
Gisela Schmidt-Reuther: Tägliche Arbeit im Atelier bescheren der fast 90-Jährigen eine kreative Unruhe.

„Ich habe noch Träume, tägliche Erlebnisse, die ich gestalten möchte. Das Umsetzen des Erlebten in die Formenwelt ist es, was mich immer wieder neu antreibt“, bekennt Gisela Schmidt-Reuther. Die Bildhauerin und Meisterin der keramischen Plastik, die in Rengsdorf lebt und hier unermüdlich schafft, feiert in Kürze ihren 90. Geburtstag.

„Ihr gelang, was wenigen glückte, die Synthese zwischen keramischem Handwerk und plastischer Kunst“, stellte einst der berühmte Darmstädter Bildhauer Georg von Kovats fest.

Die Kunst ist ihr Lebenselixier, ihre Bestimmung. „Meine Krankheit“, sagt sie. Und: „Ich lege den Termin für das Ende meiner Arbeit nicht fest, ebenso wenig wie ich das Ende meiner Erdentage festlege. Ich freue mich über jeden neuen Tag“, fügt sie entschlossen hinzu. Bildhauerin werden wollte sie schon als 18-Jährige. „Meine Eltern haben mein künstlerisches Talent sehr früh erkannt und gefördert. Schon als Kind habe ich eher aus Ton modelliert als mit Puppen gespielt“, erinnert sie sich.

Nach Abitur und Ausbildung an der Staatlichen Werkschule für Keramik, Höhr-Grenzhausen, begann sie ein Bildhauerstudium an der Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt, wechselte später nach Berlin. Lehraufträge führten sie zur Werkkunstschule nach Trier und an die Staatliche Werkschule für Keramik, Höhr-Grenzhausen, wo sie bis 1976 wirkte.
Wenn sie heute spürt, dass Menschen echtes Interesse an ihrer Arbeit zeigen, ist sie glücklich. Freuen tut sie sich über einen Brief, Begegnungen mit Menschen, Gespräche über Kunst. „Letztere sind seltener geworden, seit die Reihen ehemaliger Weggefährten sich gelichtet haben“ erzählt sie. Heinrich Böll zählt sie dazu, den Schriftsteller und Philosophen Hugo Kükelhaus, den Kunsthistoriker Prof. Dr. Ulrich Gertz, den Schriftsteller Prof. Dr. Walter Warnach. „Die Diskussionen mit ihnen, die Tiefe der Gedanken, waren Labsal für mich“, bekennt sie nicht ohne Wehmut. „Die Einsamkeit tut manchmal weh“, sagt sie und erinnert dabei an ihren Ehemann, der ihr bis zuletzt „engster Freund, Berater und Kritiker war“.

Kreative Unruhe bleibt

Wer Gisela Schmidt-Reuther besucht, atmet Kunst. Überall in ihrem Haus stehen Skulpturen, keramische Objekte, die durch ihre Glasuren faszinieren. Zeichnungen und Bilder zieren die Wände. Ihr Atelier ist kein Museum, man spürt sofort: Hier wird gearbeitet. Auf den Tischen liegen Skulpturen, die noch gebrannt werden müssen, Ton, der in Form gebracht werden will, zahlreiche Glasurproben stehen in den Regalen. Tägliche Wirkungsstätte der Künstlerin Gisela Schmidt-Reuther, einer auch mit fast 90 Jahren bewundernswert agilen Frau, deren kreative Unruhe noch immer ihre Arbeit bestimmt.

„Spuren hinterlassen vom Dasein war immer mein Bemühen“, sagt sie, „Gebanntes aus der Gegenwart herausdestillieren, das nicht wiederholbar ist.“ Heute stehen Arbeiten von ihr in Museen im In- und Ausland. Das Musée Ariana in Genf, Museum für Kunsthandwerk in Belgrad und Fine Arts Museum in Taipeh/Taiwan gehören dazu. Dem Keramikmuseum in Höhr-Grenzhausen hat sie eine Auswahl ihrer Skulpturen hinterlassen. Das Germanische Museum in Nürnberg hat sein Interesse am Nachlass angemeldet. Am 22. Oktober wird im Keramikmuseum in Höhr-Grenzhausen eine Ausstellung mit 175 ihrer Kunstwerke eröffnet.