Handwerk Special 97 vom 07.02.2004


„Wir dürfen die Jugend nicht für politische Fehler bestrafen!“

Handwerksmeister und Ausbilder über die neue Handwerksordnung

Fotografenmeister Matthias Brand (oben) mit Lehrling Martin Schön: „Ich werde auch künftig ausbilden!“
Der Beruf des Schilder- und Lichtreklameherstellers vereint verschiedene Fachbereiche, so in der Metallbearbeitung, der Farbgestaltung, im Elektro-Bereich bis zur sicheren Montage. Die Handwerksmeister können deshalb nicht verstehen, „dass hier jetzt jeder ran darf“.

Nein, verstehen kann er die Entscheidung der Bundesregierung nicht: „Manche unserer Kunden wünschen ihre überdimensionale Werbung auf dem Dach eines Hochhauses oder an der Fassade in Schwindel erregenden Höhen. Das setzt umfangreiche Erfahrungen und Kenntnisse bei der Installation genauso voraus wie im Elektrohandwerk oder im Metallbau. Und hier kann künftig jeder ran der glaubt, etwas von dieser Arbeit zu verstehen?“

Hardy Schilkewitz, Schilder- und Lichtreklameherstellermeis-ter aus Ochtendung schüttelt den Kopf und bringt es für sein Handwerk auf den Punkt: Mit der Praxis hat die Entscheidung der Bundesregierung zur Handwerksordnung nichts zu tun.

Unternehmerischer Alltag sieht anders aus

Wie in seinem Handwerk sieht die Novelle für 52 weitere Berufe, in denen der Meisterbrief Voraussetzung für die Gründung und das Führen eines Unternehmens war, vor, dass hier ab 1. Januar jeder tätig werden kann – ob mit Meisterbrief oder nicht. Nicht nur Handwerksmeister Schilkewitz wundert sich über diese Entscheidung, denn aus dem Alltag heraus weiß man um die fachlichen Anforderungen an ihre Arbeit wie auch an die Teile der Meisterqualifikation, die sich beispielsweise mit Betriebswirtschaft auseinandersetzen.

Das bestätigt auch Fliesenlegermeister Jochen Schmitt: „Als ich vor die Alternative gestellt wurde, habe ich mich für den Weg in die Selbstständigkeit entschieden. Voraussetzung war in meinem Handwerk bis zum 31.12. 2003, die Meisterprüfung abzulegen. Ich hatte früher meine Zweifel, ob das wirklich so wichtig ist. Heute weiß ich, dass ein Unternehmer ohne die vielen Teile der Meistervorbereitung gerade im betriebswirtschaftlichen Bereich kaum eine Chance am Markt hat.“

Ohne Weitsicht

Als Entscheidung ohne Weitsicht beurteilt auch HwK-Präsident Karl-Heinz Scherhag die Novellierung der Handwerksordnung. „Gerade mit Blick auf die Ausbildung sehe ich hier Probleme, die sich aus der Unsicherheit der Unternehmen ergeben, die jetzt ihre Anerkennung als Vollhandwerke der Anlage A verloren haben. Sehen diese Unternehmen aufgrund der Verschärfung des Marktes von einem künftigen Ausbildungsengagement ab, verschärft sich auch die Ausbildungsplatzsituation“, macht Scherhag deutlich und nennt Zahlen. „Es sind rund 2000 Lehrlinge, die momentan im nördlichen Rheinland-Pfalz in solchen Betrieben ausgebildet werden.“ Und auch wenn der HwK-Präsident hier nicht den „Ausbildungs-Teufel an die Wand malen will – nach den Anstrengungen der letzten Monate für die berufliche Zukunft Jugendlicher im Handwerk brennt uns das Thema unter den Nägeln. In Zusammenarbeit mit vielen Partnern aus Kirche, Politik, Kommune und Ehrenamt haben wir die Lehrstellenthematik erfolgreich in den Griff bekommen. Da braucht es niemanden wundern, dass wir auch deshalb die Entscheidung der Bundesregierung mit Besorgnis sehen.“

Drei Lehrlinge gesucht

Für Handwerksmeister Schilkewitz, der sich mit seinem Unternehmen HS-Werbetechnik seit Jahren erfolgreich am nationalen und internationalen Markt etabliert hat und jüngst an einem zweiten Standort auf Wachstumskurs gegangen ist, spielt auch künftig die Ausbildung eine wichtige Rolle. „Eine Zurückhaltung bei der Ausbildung würde die Jugend bestrafen und die kann am allerwenigsten für falsche politische Entscheidungen“, macht er klar. Drei Jugendliche will er 2004 ausbilden.

Vorsichtige Zukunftspers- pektiven

Auch Fotografenmeister Matthias Brand vom Koblenzer Fotostudio FOCUS sieht in der neuen Handwerksordnung einen handwerkspolitischen Fehler, von dem sein Handwerk direkt betroffen ist. Die Folgen, die sich daraus für sein Unternehmen und die Kunden ergeben, beschreibt er so: „Die Konkurrenz mag auf den ersten Blick verbraucherfreundlich sein, da staatlich subventionierte Existenzgründer die Preise drücken werden. Das wird der eine oder andere Kunde probieren. Doch um in unserem Beruf eine 1-A-Qualität abzuliefern, braucht man nicht nur eine gute fachliche Ausbildung, auch die Ausrüstung muss stimmen. Und die kann sich ein Existenzgründer kaum leisten. Ob eine Bank das nötige Geld in ein 1-Mann-Unternehmen ohne fachliches und unternehmerisches Wissen investiert, kann stark bezweifelt werden.“

Für den Fotografenmeister bleibt eine wichtige Frage, deren Antwort die Zukunft bringen wird: „Da es nicht mehr Aufträge gibt, sondern nur eine Umschichtung zu erwarten ist, bleibt die Unsicherheit, ob etablierte Meisterbetriebe diese Verschiebung überstehen werden.“ Denn, da ist sich Brand sicher: Die Qualität wird sich durchsetzen. „Bleibt die Hoffnung, dass hoch entwickelte Betriebe, die mit ihrer modernen und kostenintensiven Einrichtung alle Erfordernisse der Kunden realisieren können, nach dem Ausprobieren der Kunden noch da sind. „Mit Blick auf die Ausbildung gibt der Familienvater von drei Kindern eine klare Antwort: „Wir werden auch weiterhin die Verantwortung für die berufliche Zukunft der Jugend übernehmen. Ich suche einen Lehrling für 2004.“