Handwerk Special 59 vom 28.11.1997


Land unter, Kopf oben!

Zwei deutsche Handwerker und ihr Leben nach dem Hochwasser

Vor acht Jahren fiel die "Mauer": "Handwerk special" stellt Menschen aus dem ostdeutschen Handwerk vor. Was bewegt sie, wie leben und arbeiten sie, was haben sie seit 1990 aufgebaut, welche Sorgen haben sie. Zusammen mit der HwK Frankfurt/Oder entstand die Reportage über zwei Handwerker aus Deutschland Ost & West, die ein Schicksal "vereint": Friseurmeisterin Anne-Käthe Fischer aus Koblenz und Norbert Fiddeke aus Frankfurt/Oder erlitten große Schäden durch Hochwasserkatastrophen.

Anne-Käthe Fischer ist Friseurin, Norbert Fiddekes Landmaschinenmechaniker. Beide sind Handwerksmeister, sie ist Koblenzerin, er lebt in Frankfurt/Oder. Sie kennen sich nicht, und doch verbindet sie etwas über das Handwerk hinaus: Hochwasser.

Frankfurt/Oder, Anfang September. Müllberge türmen sich - Hausrat, vom Wasser verdorben. Die Felder ringsum sind morastig. In manchen Kellern steht noch immer das Wasser, Reste der Oder. Trocknungsgeräte laufen, um das Mauerwerk zu retten. Hier und da werkeln ein paar Bewohner. Sie wirken hilflos angesichts der Last von Arbeit, die ihnen die Überschwemmung beschert hat. Die Zeit drängt, denn die Häuser müssen wieder bewohnbar sein, bevor der Winter kommt.

Koblenz, Anfang September. Der Rhein ist dort, wo ihn die Anwohner gerne sehen. Sandbänke sind sichtbar, es ist Niedrigwasser. Was eher schäumt, sind manche Emotionen an Rhein und Mosel, geht es um die Berichterstattung von der fernen Oder. "Natürlich tun mir die Menschen dort leid - wir wissen, was es bedeutet, wenn das Wasser gnadenlos Besitz vom eigenen Hab und Gut ergreift." Doch Friseurmeisterin Anne-Käthe Fischer macht kein Geheimnis aus ihrer Verärgerung über das, was nach dem Hochwasser in der Oderregion "ganz gut floß" und den Flußanwohnern hierzulande in diesem Ausmaß verwährt blieb: Geld, staatliche Hilfen, Spendengelder in Millionenhöhe.

Friseur Fischer
Fiddeke
Koblenz, Dezember 1993: Das Weihnachtsfest fiel nicht nur für Friseurmeisterin Fischer ins Wasser. - Koblenz, September 1997: Über 70.000 Mark hat die Koblenzer Handwerksmeisterin in die Renovierungsarbeiten und das neue Inventar ihres Friseursalons gesteckt (l.).
Frankfurt/Oder, September 1997: Handwerksmeister Fiddeke und seine "Inneneinrichtung". Das Wasser stand fast drei Meter hoch (r.).

Davon hat Handwerker Fiddeke bisher nur wenig gesehen. Nötig hätte er es, "es geht im Unternehmen nicht nur um materielle Schäden. Jeder Tag, an dem wir nicht arbeiten können, bedeutet zusätzlichen Verdienstausfall." Doppelte Strafe, hier ist schnelle Hilfe und schnelles Handeln angesagt. Zweieinhalb Meter hoch stand das Wasser in seinen Hallen, "zu retten gab´s nicht viel, denn als der Damm in Brieskow-Finkenherd brach, war die Flutwelle Minuten später hier". Und blieb über drei Wochen. Damit hatte Fiddeke nicht gerechnet, das gab´s hier auch noch nie.

Immerhin 30 Jahre lief der Salon von Friseurmeisterin Fischer in Koblenz-Neuendorf "ohne Wasser". Doch dann, zu Weihnachten 1993, kam der Rhein zum ersten Mal. "Alles war hin, für über 70.000 Mark mußte das Geschäft komplett renoviert und neu eingerichtet werden." Der Alptraum 14 Monate später. Wieder läuft die Dreckbrühe durch die Straßen, wieder kommt sie ins Geschäft. "Zupacken und retten, was zu retten ist, hieß die Devise." Und die engagierte Friseurmeisterin packt zusammen mit ihrem Kollegen Friseurmeister Günter Schmidt zu. "Beim Umbau haben wir auf eine schnell demontierbare, mobile Einrichtung geachtet, das kam uns zugute." Die Schäden hielten sich in Grenzen.

Die Schäden im Betrieb von Norbert Fiddeke hielten sich weniger in Grenzen: "Fast alle Maschinen und Anlagen sind reif für den Schrott, auch die meisten Ersatzteile standen unter Wasser." Heiz- und Mineralöl sind ausgelaufen und kleben an den Wänden, sind ins Mauerwerk eingezogen. Den materiellen Schaden beziffert er auf über eine halbe Million Mark. Und der moralische?

"Er darf den Kopf nicht hängen lassen", so die ermutigenden Worte vom deutschen Eck. Anne-Käthe Fischer ("Ich bin ein Steh-Auf-Männchen") hatte damals auch weiche Knie, aber ans Aufgeben hat die Handwerkerin nie gedacht. "Hier ist unsere Heimat, hier arbeiten wir." Und wenn das Wasser wieder die Abkürzung zwischen Mosel und Rhein durch den Koblenzer Stadtteil nimmt? "Inzwischen haben wir einen Hochwasserschutzverein gegründet. Wir wissen, was im Ernstfall zu tun ist und wer uns hilft." Wichtig, so der Tip von Friseurmeisterin Fischer, sind finanzielle Rücklagen. "Nur so ist die Zukunft des Betriebes nach einem Katastrophenfall gesichert."

Ein Ratschlag, den Norbert Fiddeke bereits vor der Katastrophe beherzigte. Nun bezahlt er die Löhne für die sieben Beschäftigten aus dieser "stillen Reserve", denn das Geld brauchen seine Leute genauso dringend. Nach den Aufräumarbeiten auf der Arbeit geht´s für sie zu Hause weiter.

Die ersten Aufträge sind inzwischen beim Landmaschinenbetrieb eingegangen. Handwerker Fiddeke hofft, daß sein Unternehmen bald wieder auf eigenen Beinen stehen wird, "noch funktioniert die Stromversorgung nur sporadisch, das Telefon tut´s gar nicht. Wenn die Drehbank nur wieder laufen würde..."

Eine neue kann er sich nicht leisten, so will er die alte irgendwie wieder in Gang setzen. "Improvisation" ist den Menschen im Osten Deutschlands nicht fremd. Und auch den Mut, "aus Ruinen aufzuerstehen" haben sie in der Vergangenheit bewiesen. Fiddekes Schlußwort nach der innerdeutschen Wasserschlacht: "Wir werden das schon packen!"