Handwerk Special 58 vom 07.11.1997


Ruf des Marktes gefolgt

Die Handwerksordnung tiefgreifend neu strukturiert

Anfang 1998 tritt die neue Handwerksordnung ihren Dienst für Kunden und Handwerker gleichermaßen an. In ihr spiegeln sich wirtschaftliche und politische Voraussetzungen wieder, die dem Handwerk künftig ein höheres Leistungspotential bringen soll.

"Man stelle sich vor: Der Kunde wünscht eine neue Dachdeckung, und während der Eindeckarbeiten entdecke ich morsche Balken im Dachstuhl, die ich ohne weiteres auswechseln könnte, aber nicht darf!" Der Grund: Diese Arbeiten fallen in das Aufgabengebiet des Zimmererhandwerks. "Wer", so fragt sich nicht nur Dachdeckermeister Helmut Horbach, Obermeister der Innung Birkenfeld, "soll jetzt dem Kunden verständlich diesen bürokratischen Engpaß erklären, der Zeit und Geld kostet und mit unseren handwerklichen Fähigkeiten nichts zu tun hat?"

Mit der Novellierung der Handwerksordnung und Einführung entsprechender Gesetze zum 1. Januar 1998 bedarf es in solchen Fällen weder einer Erklärung noch der Arbeitsunterbrechung. An der Praxis orientiert und den Kundenwünschen entsprechend wurden die Berufsbilder der 127 Handwerke "abgeklopft" und so strukturiert, daß beispielsweise der Dachdeckermeister Arbeiten am hölzernen Dachstuhl ausführen darf, der Zimmerermeister seinerseits bei Reparaturen am Dachstuhl übernehmen kann. "Natürlich vorausgesetzt, die fachliche Qualifikation liegt vor. Weiterbildung oder die Einstellung eines Dachdeckers sichert dabei die Qualität gewerkeähnlicher Arbeiten", ergänzt Zimmerermeister Volker Höhn, Obermeister der Innung Westerwald.


Die parlamentarische Arbeitsgruppe der Koalitionsfraktionen von CDU, CSU und FDP schafft mit ihrer Arbeit in Bonn die Voraussetzungen für die Novellierung der Handwerksordnung. Karl-Heinz Scherhag, Präsident der HwK Koblenz und Handwerksmeister, bestimmte als "Mann des Handwerks" den Kurs der Novelle entscheidend mit. Handwerk SPECIAL fragte ihn...

...nach den wichtigsten Eckpunkten der Novelle.

Das technische Know-How entwickelt sich heute sehr schnell - auch im Handwerk. Die neue Handwerksordnung geht darauf ein und ermöglicht dem Handwerk eine Anpassung an die technischen Veränderungen. Damit ist eine Ausweitung der Tätigkeitsfelder für viele Gewerke verbunden. Dies wiederum kommt auch den Handwerkskunden zugute, ihnen werden mehr Leistungen aus einer Hand geboten. Das spart Zeit und Geld und stärkt die marktwirtschaftliche Position des Handwerks beim Verbraucher.

Die Handwerksordnung ist über 100 Jahre alt, erlebte bereits einige Änderungen. Ist die 97er eine besondere?

Ja. Sie macht das Handwerk leistungsfähiger und übersichtlicher: Berufe mit angrenzenden Tätigkeitsfeldern wurden zusammengelegt. Die Zahl der Haupthandwerke wird von 127 auf 90 spürbar verringert. Die Novelle schließt im Einvernehmen von Fachverbänden, dem Zentralverband des Deutschen Handwerks wie auch den parlamentarischen Arbeitsgruppen - und das fraktionsübergreifend - die 93er Novelle ab und macht so den Weg für das Handwerk ins nächste Jahrtausend frei.

Sie selbst sind Kfz-Mechanikermeister und selbständiger Unternehmer. Was wird sich mit der Novelle in Ihrem Betrieb künftig ändern?

Auch mein Beruf stellt sich ab Januar ´98 neu dar: Kfz-Mechaniker und Elektriker gehen im Kfz-Techniker auf. Als Unternehmer sehe ich einen starken Praxisbezug, denn die Tätigkeitsfelder greifen ohnehin ineinander. Den Anforderungen an das Kfz-Handwerk wird mit der Novelle entsprochen, die Ausbildung von qualifiziertem Nachwuchs gesichert. Für den Kunden bedeutet das künftig kürzere Werkstattzeiten und eine unkompliziertere Auftragsabwicklung.

Die parlamentarische Arbeitsgruppe, der Sie angehören, hat mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen Hindernislauf über Interessensbarrieren von Handwerk sowie Industrie und Handel hinter sich. Gibt es einen Sieger?

Verschiedene Gruppeninteressen sind in unserer pluralistischen Gesellschaft natürlich und legitim. Wichtig ist, daß sie offen ausgetragen werden und daß am Ende ein Ergebnis steht, in dem sich die Beteiligten wiederfinden und mit dem sie leben können. Das ist hier gelungen. Wenn man in diesem Zusammenhang überhaupt von einem Sieger sprechen will, dann ist es der Verbraucher und Kunde.

Das Handwerk beweist mit einer Vielzahl von Änderungen in der neuen Handwerksordnung Flexibilität und paßt sich so den modernen wirtschaftlichen Bedingungen an - am Meisterbrief als Voraussetzung für die Selbständigkeit ist auch nach 100 Jahren Handwerksordnung nicht gerüttelt worden. Warum?

Die Meisterprüfung als grundsätzliche Voraussetzung für die Selbständigkeit im Handwerk ist das Erfolgsgeheimnis des Handwerks. Sie sichert dem Kunden eine hohe Qualität handwerklicher Erzeugnisse und Leistungen. Sie ist auch unverzichtbare Voraussetzung für die vorbildlichen Ausbildungsleistungen des Handwerks, die gerade jetzt wichtig sind. Es bestand kein Anlaß, daran etwas zu ändern.


Die tiefgreifenste Neuerung der Novelle stellt die Zusammenlegung einiger Berufsgruppen dar: Neue Berufe "entstehen", einige ältere gehen darin auf. Prominentestes Beispiel der Reform: Kfz-Mechaniker und Elektriker verschmelzen zum Kfz-Techniker. "Unter der Motorhaube wird hier bereits seit Jahren keine Grenze mehr gezogen", so Reinhold Scherer, Obermeister der Kfz-Handwerkerinnung Mittelrhein und Landesinnungsmeister. "Heute funktionieren fast alle Motorkomponeneten nur noch über elektronische Steuerung, die Kfz-Elektrik setzt ihrerseits Kenntnisse im Bereich Mechanik voraus. Eine Überarbeitung der Berufsbilder erscheint da sehr logisch."

1+1+1+1=1

Mit der Novelle unterzieht sich das Handwerk einer Verjüngungskur, der 37 Berufe in ihrer Bezeichnung zum "Opfer fallen" - die Berufsbilder bleiben erhalten und werden mit ähnlichen Handwerken zusammengefaßt. So wird aus dem Maschinenbaumechaniker, Werkzeugmacher, Dreher und Feinmechaniker künftig der Feinwerkmechaniker.

Nicht nur die Kunden, denen mehr aus einer Hand geboten wird, auch die Handwerker selbst profitieren von den Änderungen, die von den Fachverbänden und dem Zentralverband des deutschen Handwerks sowie den parlamentarischen und präsidialen Arbeitsgruppen übereinstimmend erarbeitet wurden. Die Aufgabengebiete wurden erweitert, damit die Flexibilität bei der Abwicklung erhöht. Das sichert mehr Aufträge, Arbeitsplätze und nicht zuletzt auch Lehrstellen.

100 Jahre Reformkurs:

Mit der Gewerbeordnung des deutschen Kaiserreiches wurde 1895 die Grundlage für die Handwerksordnung gelegt. Zwei Jahre später - 1897 - wurden per Gesetz den Handwerkskammern Hoheitsaufgaben als Interessenvertretung des Handwerks zugesichert, im gleichen Jahr wurde die Meisterprüfung eingeführt. Eine Berufszählung vom 14. Juni 1895 im preußischen Staat ergab, daß es 20 Prozent der heute eingetragenen Berufe damals noch gar nicht gab - so im Kfz-Gewerbe, denn der erste Kraftwagen rollte erst 1886 über deutsche Straßen. Andererseits sind 10 Prozent der Handwerksberufe in den vergangenen 100 Jahren von der technischen Entwicklung "eingeholt" worden - so der Nagelschmied oder der Kammacher. Diesen Veränderungen ist das Handwerk in seiner Geschichte mit der ständigen Überarbeitung der Handwerksordnung gerecht geworden und konnte so seine wirtschaftliche Rolle behaupten. Neben einer hohen Qualität des Handwerks gegenüber seinen Kunden wird mit der Handwerksordnung auch für einen qualifizierten Nachwuchs gesorgt.
Informationen bei der HwK-Handwerksrolle, Tel.: 0261/398-261, Fax: -983. e-mail:beratung@hwk-koblenz.de