Handwerk Special 57 vom 11.09.1997


Gläserne Kunst

Glas: Vielfalt in phantasievoller Zweckmäßigkeit

Von Lichtkräften durchflutet, scheint Glas alle mineralische und irdische Schwere überwunden zu haben und von ihr erlöst zu sein". So schwärmte der deutsche Architekt Bruno Taut bereits 1914 von Glas als architektonischem Gestaltungselement.

Reiner Keller aus Höhr-Grenzhausen ist einer jener Glasgestalter und Glasmaler, den das Zusammenspiel von Glas und Licht fasziniert. In Entwurf und handwerklicher Ausführung von Bleiverglasungen und Mosaiken für gehobene Ansprüche ist er ein Glaskünstler. Er erspart seinen Kunden vorgefertigte Standardlösungen. Türverglasungen und Fenster werden bei ihm zum Kunstobjekt. So können Blumen, Federn oder Steine zwischen zwei Glasscheiben eingearbeitet werden, ohne daß diese ihre Form und Farbe verlieren. "Glaskunstliebhaber gehen nicht jahraus, jahrein achtlos an einer Tür vorbei, sondern wollen sich jedes Mal an ihr erfreuen. Sie erleben bewußt die unterschiedliche Wirkung bei Auflicht und bei Durchlicht. Farbiges Glas und Licht schaffen eine unvergleichliche Atmosphäre", so der Glasgestalter. Künstlerisch gestaltete Bleiverglasungen eignen sich auch für Fußböden und Deckenverkleidungen. Hängend montiert können sie die herkömmliche Kassettendecke ersetzen oder als diffuse Lichtquelle dienen. "Die Brillanz und Leuchtkraft des Glases kommt hier besonders zur Geltung", so Keller. Seine Werkstatt, die seit 1959 besteht, führt darüber hinaus restaurierende und konservierende Arbeiten an historischen Glasmalereien aus.

Glasveredler

Glas ist ein Zauberer, optisch und psychologisch. Viel Glas rundherum bringt viel Licht und viel Wärme. Glasmöbel und -bauelemente wirken leicht und lassen den Raum größer erscheinen in ihrer transparenten Eleganz. Für das Bad kann man nicht nur Duschkabinen, sondern auch Wasch-tische und Badewannen aus Glas bestellen. Beliebt sind gläserene Regale. All dies gibt es nach Maß und in extragehärteter Qualität. Ganze Bäder sind heute schon verspiegelt. In der Ausstellung des Glasveredlermeisters Rolf Opavsky in Vallendar brechen sich die Sonnenstrahlen in mehr als 500 verschiedenen Spiegeln. "Beratung ist alles.

Der Kunde kommt auf ein unverbindliches Gespräch. Er trägt seine Wünsche vor, die oft so vielfältig sind wie es Spiegel gibt. Am Ende bleibt die angenehme Qual der Wahl", so Meister Opavsky. "Als ich das Handwerk 1951 in der Werkstatt meines Vaters lernte, haben wir noch eigenhändig die Silberlösung auf das Glas aufgetragen", erinnert er sich. "Heute werden uns zwar die beschichteten Tafeln bis zu einer Größe von drei mal sechs Meter geliefert, aber das Zuschneiden der Spiegel, das Bearbeiten der Kanten und Flächen durch Ätzen, Sandstrahlen oder Flächenschliff ist reine Handarbeit.

Das macht die Einmaligkeit eines Spiegels aus." Und die vielfältige Einmaligkeit des Mediums Glas verbindet die Liebhaber der Glaskunst.

Kleine Glasfibel

"Man nehme 60 Teile Sand, 180 Teile Asche aus Meerespflanzen, 5 Teile Salpeter und 3 Teile Kreide", so steht es in einem der ältesten überlieferten Glasrezepte der Menschheit, das aus der Bibliothek des Königs Assurbanipal (668-631 v. Chr.) stammt. Bereits im 4. Jahrtausend v. Chr. kannten die Ägypter das Glas. Seither hat es nie seinen Reiz und seine Vielseitigkeit verloren.

Während Glas in der römischen Kaiserzeit als Ausdruck von Luxus und Prunk galt, wurde es in der Gotik im großen Stil besonders bei Kathedralen verwendet. Als die Kirchenwände immer mehr in Fenster aufgelöst wurden, begann die große Zeit der Glasmalerei. Die glühende Farbigkeit der Glasgemälde ist Ausdruck des transzendenten, das Irdische übersteigenden Gestaltungswillens. Das Rokoko eröffnete neue Dimensionen in der Verwendung von Glas. Die Spiegelsäle von Versailles oder der Würzburger Residenz entstanden in jener Zeit.

Der technische Fortschritt schuf im 19. Jahrhundert neue Möglichkeiten der Gestaltung mit Glas. So gehörten Glasveranda und Wintergarten in den "Gründerjahren" zur Repräsentation. In den folgenden Jahrzehnten setzte sich immer stärker eine moderne Bauweise durch: Die Vorderfronten zahlreicher Industriebauten sind völlig verglast. Im Innern der Gebäude ersetzen zahlreiche Verwaltungsinstitutionen die alte Aufteilung der Räume durch Glaswände. Decken aus Glasbausteinen schaffen eine reizvolle Flächenwirkung und geben dem Raum durch die Brechung der Lichtstrahlen ein gleichmäßig weiches Licht.

Zu den Tätigkeiten im Glaserhandwerk gehört die Herstellung von Glaskonstruktionen, der Einbau und die Instandsetzung von Verglasungen, sowie die Anfertigung von Bilderrahmen und Spiegeln.